Dieser Abschnitt der Bhagavad Gita gehört zweifelsohne zu den schwierigeren, nicht weil die Verse philosophisch besonders anspruchsvoll sind, sondern weil sie das Thema Kasten und Krieg enthalten.
Die kommentierten Verse können ohne den Gesamtkontext leicht mißverstanden werden, denn es geht in der Gita nicht darum einen Krieg zu rechtfertigen. Es geht um den inneren Konflikt den wir alle austragen müssen, es geht um den Prozess der Selbstfindung der anhand einer Geschichte über einen Krieg vermittelt wird. Die Rahmenhandlung ist nicht mit den philosophischen Inhalten zu verwechseln. Über das Kastenwesen habe ich eine umfassende Quellenanalyse gemacht. Das Kastenwesen in Indien ist historisch gewachsen und hat sich durch die vielen Jahrhunderte hindurch in eine ganz andere Richtung entwickelt als es ursprünglich beschrieben wurde. Tatsächlich ging es ursprünglich darum, die Gesellschaft zu Ordnen und dadurch ein harmonischeres Zusammenleben zu ermöglichen. Die Kaste und die damit verbundene Privilegierung sollte nicht weiter vererbt werden, sondern jeder sollte nach Fähigkeiten entsprechende Aufgaben bekommen, so sagt z.B. die Gita im Vers 4.13:
“Die vier Kasten wurden von Mir gemäß der Unterschiedlichkeit von Guna und Karma geschaffen; obwohl Ich ihr Urheber bin, wisse, dass Ich nicht handle und unwandelbar bin.”
Bhagavad Gita, Verse 2.31-37
Die Verse 31-37 des 2. Kapitels der Bhagavad Gita
- Bhagavad Gita, Vers 2.31:
स्वधर्ममपि चावेक्ष्य न विकम्पितुमर्हसि |
धर्म्याद्धि युद्धाच्छ्रेयोऽन्यत्क्षत्रियस्य न विद्यते || २ ३१ ||
svadharmamapi cāvekṣya
na vikampitumarhasi
dharmyāddhi yuddhācchreyo ’nyat
kṣatriyasya na vidyate
„Des weiteren zaudere nicht angesichts deiner Pflicht, denn es gibt für einen Angehörigen der Kriegerkaste (Kshatriyas) nichts Höheres als einen gerechten Krieg.“ - Bhagavad Gita, Vers 2.32:
यदृच्छया चोपपन्नं स्वर्गद्वारमपावृतम् |
सुखिनः क्षत्रियाः पार्थ लभन्ते युद्धमीदृशम् || २ ३२ ||
yadṛcchayā copapannaṃ
svargadvāramapāvṛtam
sukhinaḥ kṣatriyāḥ pārtha
labhante yuddhamīdṛśam
„Glücklich sind die Kshatriyas (Kriegerkaste), Oh Arjuna! Die aufgerufen sind, in einem solchen Kampf zu bestehen, der sich ohne ihr Zutun als offenes Tor zum Himmel anbietet.“ - Bhagavad Gita, Vers 2.33:
अथ चेत्त्वमिमं धर्म्यं संग्रामं न करिष्यसि |
ततः स्वधर्मं कीर्तिं च हित्वा पापमवाप्स्यसि || २ ३३ ||
atha cettvamimaṃ dharmyaṃ
saṃgrāmaṃ na kariṣyasi
tataḥ svadharmaṃ kīrtiṃ ca
hitvā pāpamavāpsyasi
„Wenn du jedoch diesen gerechten Kampf nicht aufnehmen willst, lädst du Sünde auf dich, da du deine Pflicht und deinen Ruf vernachlässigt hast.“ - Bhagavad Gita, Vers 2.34:
अकीर्तिं चापि भूतानि कथयिष्यन्ति तेऽव्ययाम् |
संभावितस्य चाकीर्तिर्मरणादतिरिच्यते || २ ३४ ||
akīrtiṃ cāpi bhūtāni
kathayiṣyanti te.avyayām
saṃbhāvitasya cākīrtir
maraṇādatiricyate
„Auch werden die Menschen von deiner nie endenden Unehre berichten; und für einen Menschen, der einmal verehrt worden ist, ist Schande schlimmer als der Tod.“ - Bhagavad Gita, Vers 2.35:
भयाद्रणादुपरतं मंस्यन्ते त्वां महारथाः |
येषां च त्वं बहुमतो भूत्वा यास्यसि लाघवम् || २ ३५ ||
bhayādraṇāduparataṃ
maṃsyante tvāṃ mahārathāḥ
yeṣāṃ ca tvaṃ bahumato
bhūtvā yāsyasi lāghavam
„Die großen Wagenkämpfer werden denken, du hättest dich aus Furcht vom Kampf zurückgezogen; und Menschen, bei denen du in hohem Ansehen standest werden dich gering schätzen.“ - Bhagavad Gita, Vers 2.36:
अवाच्यवादांश्च बहून्वदिष्यन्ति तवाहिताः |
निन्दन्तस्तव सामर्थ्यं ततो दुःखतरं नु किम् || २ ३६ ||
avācyavādāṃśca bahūn
vadiṣyanti tavāhitāḥ
nindantastava sāmarthyaṃ
tato duḥkhataraṃ nu kim
„Auch deine Feinde, die an deiner Macht Anstoß nehmen, werden viele schmähende Worte finden. Was ist schmerzlicher als das?“ - Bhagavad Gita, Vers 2.37:
हतो वा प्राप्स्यसि स्वर्गं जित्वा वा भोक्ष्यसे महीम् |
तस्मादुत्तिष्ठ कौन्तेय युद्धाय कृतनिश्चयः || २ ३७ ||
hato vā prāpsyasi svargaṃ
jitvā vā bhokṣyase mahīm
tasmāduttiṣṭha kaunteya
yuddhāya kṛtaniścayaḥ
„Wenn du getötet wirst, erlangst du den Himmel; wenn du siegst, erfreust du dich der Erde; daher, Sohn Kuntis, erhebe dich zum Kampf entschlossen.“
Das Kastensystem ist ein hierarchisches System, das in vielen indischen Gesellschaften verankert ist und die Lehren des Hinduismus umsetzt. Unter dem Kastensystem sind alle Menschen in einer bestimmten „Kaste“, basierend auf ihren sozialen und religiösen Anweisungen, gebunden. Tatsächlich ist die Unterdrückung auch rassistisch motiviert. In traditionellen Gesellschaften hat jede Kaste eine bestimmte Rolle im sozialen Gefüge: Mitglieder der niedrigeren Kasten müssen die Wünsche des oberen Standes erfüllen, während der höhere Kaste privilegierte Rechte zugesprochen werden. Die Macht wurde und wird mit der Hilfe von religiösen Geheimlehren und spirituellen Einweihungen ausgebaut. Diese Struktur schränkt aber auch den Austausch zwischen den verschiedenen Kastengruppen ein und fesselt Menschen an unterschiedliche soziale Schichten. Das Konzept war jedoch nicht von Anfang an negativ behaftet. Für manche Menschen kann es eine Quelle für Gemeinsamkeit sein – zum Beispiel wenn sie sich als Teil ihres Kollektivs betrachten, das miteinander verbundene Rechte und Pflichten akzeptiert. Auch wenn die Idee des Kastensystems nach wie vor nicht in all ihren Facetten vollständig verstanden wird, kann es doch eine interessante Perspektive auf unsere Gesellschaft bieten.