Nach dem Patanjali in den ersten 11 Versen des Sadhana Pada seines Yoga Sutra über Kriya Yoga, die Kleshas und die Involution gesprochen hat, kommt er nun zur Erklärung des Karma Konzeptes. Der Begriff des Karma birgt einer der Grundlegenden Konzepte in der spirituellen Weltsicht, insbesondere in den indisch geprägten Traditionen. Natürlich sind nicht alle Wirkungen des Karma leidvoll, jedoch können wir die Bindung durch das Karma an diese Welt als leidvoll bezeichnen, da Ziel des Yogi die Befreiung ist.
Patanjali Yoga Sutra 2.12
2.12 क्लेशमूलः कर्माशयो दृष्टादृष्टजन्मवेदनीयः
kleśa-mūlaḥ karma-aśayo dṛṣṭa-adṛṣṭa-janma-vedanīyaḥ
kleśa-mūlaḥ karma-aśayo dṛṣṭa-adṛṣṭa-janma-vedanīyaḥ
kleśa-mūlaḥ = In den Kleshas Wurzelnd, Von den Leiden her kommend, “Sammelbecken der Werke
karma-aśayaḥ = Überbleibsel des Karma, Speicher, Denkweise
dṛṣṭa = sichtbar, gegenwärtig, erfasst
adṛṣṭa = unsichtbar, zukünftig, unbemerkt
janma = Leben, Welt, Existenz
vedanīyaḥ = erfahren, bemerken, durchmachen, erleben
karma-aśayaḥ = Überbleibsel des Karma, Speicher, Denkweise
dṛṣṭa = sichtbar, gegenwärtig, erfasst
adṛṣṭa = unsichtbar, zukünftig, unbemerkt
janma = Leben, Welt, Existenz
vedanīyaḥ = erfahren, bemerken, durchmachen, erleben
“Aus den Leidensursachen resultieren Neigungen, aus denen sichtbare und unsichtbare Handlungen und deren Folgen entspringen.”oder“Grundlage des Leidens ist der Vorrat an Handlungskonsequenzen, der im gegenwärtigen oder im zukünftigen Leben erfahren wird.”
Hier sagt Patanjali also ganz klar, dass “alles Karma aus den Kleshas erwächst”, Oder ganz anders formuliert: “Jedes Wirken und jede Konsequenz daraus (also die beiden Haupt-Aspekte des Karma) erwachsen aus der Unwissenheit bzw. Verwechslung.” Was das konkret für unser aller Leben und Streben bedeutet, möchte ich nun etwas analysieren. Es ist so, dass Patanjali im Vers 2.4 zuvor gesagt hat: “Fehlende Erkenntnis oder Verwechslung ist der Nährboden für die übrigen Leiden” und aus diesen Leiden heraus zu handeln, bedeutet neues Karma zu schaffen. Vielleicht zunächst eine kurze Definition des Karmabegriffs. Es geht beim Karma zunächst darum, dass alles was wir jetzt erleben, eine Konsequenz unserer vergangenen Handlungen ist. oft wird der Begriff auf dieses reduziert, jedoch geht ist ein anderer Aspekt viel wichtiger: Alles was wir jetzt (aus der Unwissenheit heraus) tun, wird Wirkungen für uns selbst in der Zukunft nach sich ziehen. Karma ist also die Verknüpfung der Gegenwart mit der Vergangenheit. Mit den “sichtbaren und unsichtbaren” bzw. den “gegenwärtigen und zukünftigen” Handlungen und Handlungskonsequenzen meint er also das Karma.
Im einzelnen können wir den Begriff durch die drei Arten des Karma besser verstehen:
- Agami Karma: das Karma was jetzt durch (Ichbezogene) Handlung neu gebildet wird
- Sanchita Karma: der Speicher allen Karmas aus allen leben der Vergangenheit
- Prarabdha Karma: das gegenwärtige Erleben als Frucht vergangener Handlungen
Womöglich wird es durch diesen Satz noch deutlicher:
„Jede ungesunde Gewohnheit schafft Agami Karma, akkumuliert sich als Sanchita Karma und äußert sich als Prarabda Karma.“
Und diese ungesunden gewohnheiten führen wir aus der Verbindung mit den Kleshas aus (Agami) und schaffen dann neues Karma für die Zukunft (Prarabda). Sicher wird es deutlicher, wenn wir dieses Prinzip im Bezug zu den einzelnen Kleshas anschauen:
- Avidya – Die Unwissenheit: Führt dazu, dass wir uns mit dem Handeln immer weiter verstricken.
- Asmita – Die Ich-Bezogenheit: Egoistisches Wirken fällt unmittelbar auf uns zurück.
- Raga – Das Haben wollen: Die Begierde des menschen wächst stetig an.
- Dvesha – Das Vermeiden wollen: Die Ablehnung wird zur festen Gewohnheit.
- Abhinivesha – Die Furcht: Handeln aus Angst führt zu unschönen Effekten.
In Vers 2.2 hat Patanjali bereits gesagt, wie wir die Bindungen des Karma auflösen können: Indem wir das dreifache Kriyayoga üben, bestehend aus Tapas, Svadhyaya und Ishwara Pranidhana.
Patanjali Yoga Sutra 2.13
2.13 सति मूले तद्विपाको जात्यायुर्भोगाः
sati mūle tad-vipāko jāty-āyur-bhogāḥ
sati mūle tad-vipāko jāty-āyur-bhogāḥ
sati = da sein
mūle = Wurzel, Grund, Ursprung
tat = dessen, von ihm
vipāka = Frucht, Ergebnis, Reife, Gereiftes
jāti = Klasse, Kaste, soziale Schicht, Art der Geburt, Qualität
āyuḥ = Leben, Lebensspannen, Dauer
bhogāḥ = Genuss, Glück, Vergnügen
mūle = Wurzel, Grund, Ursprung
tat = dessen, von ihm
vipāka = Frucht, Ergebnis, Reife, Gereiftes
jāti = Klasse, Kaste, soziale Schicht, Art der Geburt, Qualität
āyuḥ = Leben, Lebensspannen, Dauer
bhogāḥ = Genuss, Glück, Vergnügen
“Wenn die Wurzeln da sind, zeigen sie sich als Status, Lebensspanne und Erfahrungen aus.”oder“Solange karmische Wurzeln verbleiben, äussert es sich als verschiedene sozialen Situationen, Lebenserwartungen und Art der Erfahrungen.”
Im Yoga können wir das Ziel des spirituellen Weges definieren als “die Befreiung vom Kreislauf der Wiedergeburten“, also die “Erlösung unserer Seele” (bzw. des Selbst) vom Zwang durch das Karma immer wieder inkarnieren zu müssen. Der Kreislauf der Wiedergeburten wird Samsara genannt, und die Befreiung daraus Moksha, diese Erlösung geschieht durch das Erkennen des Selbst bzw. das verwirklichen der Einheit mit Gott. Verschiedene Aufgaben gilt es im Leben zu bewältigen um zu dieser letztendlichen Befreiung zu kommen, vor allem gilt es sich von den Bindungen des Karma zu lösen. Mit jeder Klesha-behafteten Handlung streuen wir Samen deren Früchte wir in der Zukunft erleben müssen, bzw. deren Konsequenzen wir ausbaden müssen. letztlich ist unser Karma auch mitbestimmend für die Art unserer Wiedergeburten, wobei wir diesen Gedanken nur auf die Zukunft gerichtet interpretieren wollen. Denn wir können nicht wissen, was zB für Ursachen dafür verantwortlich sind, als hungerndes Kind geboren zu werden. Ein schwieriges Thema, daher versuchen wir den Karmagedanken vor allem auf die eigene Zukunft hin zu betrachten, und nicht zu sehr über die Ursachen in der vergangenheit zu grübeln. Diese drei im Vers genannten Faktoren können immer als die Frucht der vergangenen Handlungen betrachtet werden, aber entscheidend ist, diese für die Zukunft neu zu gestalten. Wie im letzten Vers gesagt, können diese gegenwärtig oder zukünftig manifest werden. Also jedes Handeln welches nicht Selbstlos geschieht, bzw. aus bedingunsloser Liebe erfolgt, wird Einfluss haben auf zukünftige Lebenssituationen. Vor allem der letzte Punkt der drei Früchte unserer Handlungen ist entscheidend: die Art der Erfahrungen die wir machen. Man kann mit der längsten Lebensspanne und dem höchsten Status sehr unglücklich Sein, und andersherum. Wichtig ist doch, dass wir unabhängig der Lebensumstände und des Alters die innere Fähigkeit haben das leben an sich zu geniessen und das beste da heraus zu machen. Und um die Verwirklichung, also die Befreiung aus dem Kreislauf der Wiedergeburten zu erlangen, müssen wir die Wurzeln des Karma herausreissen. Das bewerkstelligen wir durch die Auflösung der Kleshas, also durch Kriya Yoga.
Patanjali Yoga Sutra 2.14
2.14 ते ह्लाद परितापफलाः पुण्यापुण्यहेतुत्वात्
te hlāda paritāpa-phalāḥ puṇya-apuṇya-hetutvāt
te hlāda paritāpa-phalāḥ puṇya-apuṇya-hetutvāt
te = sie
hlāda = vergnüglich, genussvoll
paritāpa = schmerzhaft, leidvoll
phalāḥ = Frucht, Gereiftes, Reife
puṇya = erfolgreich, verdienstvoll
apuṇya = missglückt, Schuld, unrein, schlecht
hetutvāt = Ursache, verursacht durch
hlāda = vergnüglich, genussvoll
paritāpa = schmerzhaft, leidvoll
phalāḥ = Frucht, Gereiftes, Reife
puṇya = erfolgreich, verdienstvoll
apuṇya = missglückt, Schuld, unrein, schlecht
hetutvāt = Ursache, verursacht durch
“Je nachdem ob die Ursache konstruktiv war oder nicht, ist das Ergebnis erfreulich oder nicht.”oder“Es wird Vergnügen oder Schmerz als Frucht geerntet, je nachdem, ob der Same Tugend oder Laster war.”
Wie oben erläutert ist der Karmabegriff in zwei Richtungen zu verstehen. Zum Einen säen wir in jedem Augenblick neue Samen für zukünftiges Erleben, zum Anderen ernten wir in jedem Augenblick die Früchte unserer vergangenen Handlungen. Ziel des Yoga ist es diese kausale Kette aus Ursache und Wirkung zu sprengen und sich daraus zu befreien. Dieser Vers bzw. dieses Prinzip gilt zwar für jeden, der Yogi möchte aber letztendlich gar kein neues Karma schaffen also auch kein gutes, den auch dieses bindet an Samsara. Indem wir uns bemühen, nicht aus den Kleshas heraus zu handeln, also weitestgehend selbstlos aus der Liebe heraus zu agieren, säen wir keine neuen Samen mehr für ein zukünftiges erleben. Nochmals: Ziel des Raja Yoga ist das Befreien vom Karma, dazu tuen wir stets das was vor der nase liegt zum wohle aller, ohne die Motive aus den genannten Kleshas zu haben. Der Yogi akzeptiert möglichst alles Erfahren gleichmütig und macht das beste daraus, aber das bedeutet nicht, dass man das Leben nciht geniessen soll. Es ist ja auch so, dass man garnicht weiß ob ein “Erfreuliches oder unerfreuliches Erleben” sich tatsächlich positiv auf das Leben auswirkt. Natürlich ist es besser sich gutes Karma zu schaffen, aber auch zukünftig zu erlebende vergnügliche Momente binden uns an Samsara. Und so streben wir natürlich auch erstmal danach gutes statt schlechtes Karma zu schaffen, denn selbstlos Handeln kann genau genommen nur ein Verwirklichter, bis dahin tuen wir unser bestes. So wird auch in der Bhagavad Gita VIII.28 sinngemäß gesagt:
“Der Yogi geht über jede Frucht hinaus und verweilt im höchsten.”
Diese idee durch selbstloses Handeln kein neues Karma mehr zu schaffen, wird auch Karma Yoga genannt. Um spirituelle Entwicklung geschehen zu lassen, ist es wichtig den Gedanken richtig zu verstehen, hier findest du einen Artikel mit Vortrag über Karma Yoga von mir. In Vers III.19 der Bhagavad Gita sagt krishna nochmals ganz genau worum es bei karma Yoga geht:
“Daher tue ohne Verhaftung stets das, was getan werden muss,denn durch verhaftungsloses Handeln erreicht der Mensch das Höchste!”
Es wäre also nicht im Sinne des Yoga eigennützlich Gutes zu tun, weil man sich dadurch wiederum an die Welt bindet. Also nichts dagegen gutes zu tun, nur sollte es dann eben selbstlos sein. Wenn man jedoch ein “Samsari” ist und sich gerne immer wieder in neue Geburten stürzen möchte, tut gut daran wohltätig zu sein um sein zukünftiges Leben vorzubereiten!
Soweit mein Kommentar zu den Versen 12-14 des Sadhana Pada des Patanjali Yoga Sutra.