Die Geschichte der Asanas geht sehr weit zurück in die Vergangenheit, Asanas tauchen bereits bei den ältesten Ausgrabungen einer Hochkultur in Indien auf. Bereits zu vedischen Zeiten haben die Asketen des alten Indiens Yoga-Körperhaltungen geübt, allerdings nicht schriftlich festgehalten.
Da die Meditation eine zentrale Rolle in der Religiosität Indiens spielt, ist auch Sitzhaltung von großer Wichtigkeit. Heute spielt das Hathayoga eine gewichtige Rolle in der Kultur Indiens, die dazu gehörenden nicht-sitzenden Asanas sind aber erst vor etwa 1000 Jahren erstmals schriftlich festgehalten worden.
“Dieser Tempel des Leidens und der Freude, der aus Fleisch, Knochen, Nerven, Mark, Blut besteht und von Blutgefäßen usw. durchzogen ist, ist nur um des Leidens willen da.”
Geschichte der Asanas: Das Wort Asana
Das Sanskrit Wort Asana (IAST Schreibweise: āsana, Devanagari: आसन) bedeutet “Sitz, sitzende Körperhaltung, Meditationssitz”. Die Silbe “As” bedeutet “Hinsetzen”. Bis zur Entwicklung des Hathayoga ab dem 11. Jahrhundert wurde der Begriff ausschließlich im Kontext der Meditation verwendet. Daher schauen wir uns zunächst Texte an, die genauere Definitionen für die Sitzhaltung geben, um dann später die nicht-sitzenden Asanas zu betrachten.
Älteste archäologischen Funde mit Asana
Im Industal hat man zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine alte Hochkultur ausgegraben, die sog. Indus Kultur. Die Kultur wurde datiert auf den Zeitraum 2800-1800 v.Chr. und man hat erstaunliches gefunden. So gab es dort bereits sehr viele handwerkliche Produkte und architektonische Besonderheiten: Drainagesysteme, Wasserversorgung und Kanalisationen. Auch hat man hier die ältesten Funde von gebrannten Ziegeln in den heute noch gebräuchlichen Maßen 1:2:4 entdeckt.
Auch religiöse Artefakte wurden gefunden, so hat man unter anderem Siegel mit einer Vorform des Shiva entdeckt. Man sieht eine anthropomorphe Gestalt mit Hörnern in einer komplexen Meditationshaltung. Manche sehen dieses Siegel als Beweis dafür, dass das Yoga 5000 Jahre alt sei. Aber da reicht eine Darstellung nicht aus. Oben im Beitrag sieht man eine 2700 Jahre alte Ausgrabung aus Rajasthan, hier berühren sich Daumen und Zeigefinder zum Jnana Mudra, es ist also ziemlich sicher eine Meditationshaltung. Man geht wohl davon aus, dass sich hier ein Asket lebendig in Meditation hat begraben lassen.
Mythologische Entstehung
Zur Geschichte der Asanas gehört auch die mythologische Entstehung: Einst soll Shiva seiner Gemahlin Parvati all diese Asanas gelehrt haben, wobei sie eingeschlafen ist. Ein Fisch im nahen Gewässer hat aber aufgepasst und alles mitbekommen, diesem gewährte Shiva eine menschliche Geburt. Im nächsten Leben wurde aus dem Fisch der Nath-Yoga Meister Masyendranath, der als einer der Begründer des Hathayoga gilt.
Buße und Selbstkasteiung: Asanas und Tapas der Asketen
“15 nackte Männer in unterschiedlichen Körperhaltungen, sitzend oder liegend, die in der Haltung bis zum Abend verweilten. Am schwierigsten auszuhalten war die Hitze der Sonne,…”
So ein Auszug aus dem Bericht eines Geschichtsschreibers von Alexander dem Großen. Um 320 v.Chr. kam er über den Khyber-Pass in das Industal und begegnete einer großen Gruppe von nackten Asketen, die er Gymnosophen nannte – “nackte Weise”.
Bereits zu vedischer Zeit gab es in Indien die umherwandernden besitzlosen Asketen, die später als Shramanas “Strebende” benannt wurden. Bereits im Rig-Veda, dem ältesten Text der Inder, werden sie erwähnt. Sie übten schon immer “Tapas” (=Buße, Selbstbeherrschung, Kasteiung, Selbst-Disziplinierung) und bis in die heutige Zeit haben sie einen großen Einfluss auf die indische Spiritualität und eben auch auf die Geschichte der Asanas. Die wandernden Asketen sind vorwiegend Männer, die keinen Sinn im weltlichen Leben finden und ihrem inneren Ruf nach spiritueller Verwirklichung folgen.
Buddha war auch ein Asket
Es gibt sehr unterschiedliche Gruppen von Asketen mit verschiedensten Methoden, teilweise härteste Selbstkasteiungen werden mit großer Hingabe geübt. Die meisten Asketen zielen darauf ab, ihren Willen zu stärken und die Identifikation mit dem Körper aufzulösen, um dadurch zu Erlösung zu kommen. Asketen gab es im alten Indien im Kontext verschiedener Religionen, neben (im weitesten Sinne) Hindus waren es noch Jainas und Ajivakas (eine ausgestorbene Sekte). So war es die Begegnung mit einem dieser Asketen, die den jungen Gautama und späteren Buddha dazu veranlasste, seinen Palast zu verlassen und der Welt zu entsagen und selbst ein Shramana und zu werden. Allerdings lehnte der Buddha selbst zugunsten seines “Mittleren Weges” jede Art von Selbstkasteiung ab:
“Es gibt zwei Extreme, o Mönche, die derjenige, der die Welt aufgegeben hat, vermeiden sollte. Was sind diese beiden Extreme? Ein Leben, das dem Vergnügen gewidmet ist, dem Vergnügen und der Lust; das ist entwürdigend, sinnlich, vulgär, unwürdig und nutzlos. Und ein Leben, das den Kasteiungen gewidmet ist, das ist schmerzhaft, unwürdig und nutzlos” Vinayapitaka, Mahavagga
Es gibt einige deutliche Hinweise darauf, dass die Shramanas schon zu Buddhas Zeiten neben Fasten und Atemtechniken auch das Verharren in Körperhaltungen geübt haben. Diese Haltungen sind aber als asketische Selbstkasteiungen zu verstehen, nicht als Asanas im Sinne des Yoga. Die Positionen werden teils viele Stunden gehalten, trotz extremer Schmerzen und resultierenden körperlichen Beeinträchtigungen. So erwähtre der Buddha z.B. das Aufhängen mit den Füßen an einem Baum, was dann im 18. Jhd. als “Tapkaranasana” (Asketenhaltung) bekannt wurde. Soweit meine Recherche es ergeben hat, findet man die älteste Erwähnung von nicht-sitzenden Körperhaltungen im zentralen Jain Text Sthanangasutra aus dem 4. Jahrhundert. Zu beachten ist hier, dass in der Jain-Tradition oftmals in nicht-sitzenden Körperhaltungen meditieret wird, also die Positionen als Meditationshaltungen zu verstehen sind. generell spielt die Religion der Jain eine große Rolle in der Geschichte der Asanas, später mehr dazu.
“(…)Es gibt fünf weitere asketische Vorsätze: die stehende Haltung, die hockende Haltung, die Position einer Ikone, die Heldenhaltung und die sitzende Position. Es gibt fünf weitere asketische Vorsätze: die Stabhaltung, das Liegen in Form einer Keule, das Erzeugen von Wärme, das Unbedeckt bleiben und das Nichtkratzen.” Sthanangasutra 5.1.396
Sitzende Haltungen für die Meditation: Geschichte der Asanas
In den vedischen Texten inklusive der frühen Upanishaden finden sich keine Hinweise auf Körperhaltungen zur Meditation, lediglich wird ein aufrechter Sitz für Rituale empfohlen. So ist die Geschichte der Asanas zunächst eine über Positionen für die Meditation. Es gibt eine schöne 2,5 tausend Jahre alte Beschreibung aus dem Pali Kanon, also vermutlich Worte des Buddhas:
“Es gibt den Fall, dass ein Mönch – nachdem er sich in die Wildnis, in den Schatten eines Baumes oder in ein leeres Gebäude begeben hat – sich hinsetzt, die Beine über Kreuz verschränkt, seinen Körper aufrecht hält und die Achtsamkeit in die Vorderseite der Brust stellt. Stets achtsam, atmet er ein; achtsam atmet er aus.” Mahasatipatanasutta
In der Bhagavad Gita aus dem 2. Jahrhundert v.Chr. finden wir einen sehr deutlichen Vers für die Meditationshaltung:
„Er halte seinen Körper unbewegt, Kopf und Nacken gerade und ruhig, den Blick auf die Nasenspitze gerichtet, ohne herumzusehen.“ Bhagavad Gita 6.13
Im Yoga Sutra des Patanjali aus dem 4. Jahrhundert (so die aktuelle Datierung der Indologen) findet sich der wohl bekannteste Vers über Asanas. Aus dem Kontext wird deutlich, dass es hierbei um die Meditationshaltung geht, obwohl die Anweisung auch für nicht-sitzende Haltungen hilfreich ist.
„Die Körperhaltung sollte stabil und angenehm sein.“ oder „Der Sitz ist fest und leicht.“ Yoga Sutra 2.46
Im wichtigsten Kommentar zum Yoga Sutra, dem Yogabhasya werden 12 (Sitz-) Haltungen konkret benannt. Als Autor wird meist Vyasa angegeben, aber man nimmt heute an, dass Patanjali selbst seine 196 Verse hier kommentiert hat.
Sie lauten wie folgt: Padmasana, Virasana, Bhadrasana, Svastikasana, Dandasana, Sopasraya, Paryanka, Kraunchanisadana, Hastinisadana, Ustranisadana, und Samasamsthana. Wenn diese Haltungen bequem gehalten werden können, nennt man sie Asanas.” Yoga Bhashya 2.46
Einige dieser Positionen sind Hilfsstellungen bei langen Meditationen, so z.B. gestreckte Beine bei aufrechtem Rücken (Dandasana, eine Variante von Paschimottanasana), nach oben Strecken eines Beines während man im Schneidersitz verweilt (Kraunchanisadana) und das Nutzen eines Seils, um die Beine aufgestellt zu entlasten (Sopasaya). Die erste Benennung von (sechs) einfachen sitzenden Asanas im tantrischen Kontext findet sich im Nishvasatattvasamhita der ca. 500 n.Chr. geschrieben wurde. Den nachfolgenden Vers finde ich schön:
“Fokussiert und mit Selbstkontrolle sollte der Nutzer der Mantras eine dieser Haltungen einnehmen, in Denken und Handeln Shiva verehren, den Gurus der Tradition die Ehre erweisen und kontinuierlich die Identifikation auflösen. Er sollte die Gedanken im Kopf fixieren und die Augen nach oben drehen.” Nishvasatattvasamhita 16
Im 7. Jahrhundert wird im Vaishnava-Text Ahirbudhnya Samhita die Haltung Kukkotasana beschrieben, die Hahn-Haltung. Hier werden die Arme im Lotossitz durch die Kniebeugen geschoben und man stellt sich dabei auf die Handflächen. Diese Haltung zählt aber trotz der Komplexität und benötigter Körperspannung zu den sitzenden Haltungen.
Geschichte der Asanas: Nicht sitzende Körperhaltungen
Aus den frühen Hatha Yoga Texten sind nur wenig Asanas überliefert, konkreter werden diese erst später benannt. Häufig liest und hört man, dass das Hatha Yoga und die Asanapraxis aus dem shivaitisch-tantrischen Hinduismus entsprungen sei. Jedoch wird immer deutlicher, dass die Wurzeln wesentlich diverser sind als man angenommen hatte. Die frühen Texte zu Asanas und Hathayoga entspringen verschiedenen Milieus, so sind Vaishnavas, Jainas und Vajrayana-Buddhisten hier sehr einflussreich. Offenbar haben sich diese Traditionen sehr eng ausgetauscht und befruchtet.
“Dies war für mich eine der wichtigsten Offenbarungen während meines Studiums der Geschichte des Yoga: dass wir seine Ursprünge nicht einer einzigen Sekte oder Tradition zuschreiben können und dass seine Praktiken für jeden von Vorteil sind, unabhängig von der religiösen Zugehörigkeit oder philosophischen Überzeugung.” Dr. James Mallinson
Im ältesten der “Hatha Yoga Texte”, dem Amritasiddhi im 11. Jahrhundert, taucht zwar der Begriff Asana auf, aber auch wieder nur im Kontext der Sitzenden Haltung. Sehr spannend hier, dass der Text zugleich aus dem tantrisch-buddhistischen Umfeld stammt und zugleich eine Nähe zu den Nath-Yogis aufweist. Viele spätere Hathayoga Schriften haben aus diesem Werk abgeschrieben.
Als erste Auflistung und Beschreibung von konkreten Asanas, die nicht sitzend sind, gilt das Vimanarcanakalpa aus dem Vaishnava Umfeld, datiert auf das 11. Jahrhundert, mit der Beschreibung von Mayurasana:
“Lege die Handflächen auf den Boden, platziere die Ellbogen auf beiden Seiten des Nabels, hebe den Kopf und die Füße und bleibe in der Luft wie ein Stab. Dies ist die Pfauenhaltung.” Vimanarcanakalpa
In letzterem und folgendem Text werden als erstes nicht-sitzende Haltungen als “Asana” bezeichnet. Als erste ausführlichere Auflistung und Beschreibung von Asanas, gilt der Jain-Text Yogashastra des großen Gelehrten Hemachandra aus dem 12. Jahrhundert. Hier werden konkrete Asketen-Übungen transferiert für Laien. Unter anderem die “Schädel-Übung”, eine Form des Kopfstands.
“Jene dieser Übungen, die geistige Festigkeit beim Üben hervorruft, sollte zur Meditation verwendet werden.” Yogashastra 134
Die beiden Vaishnava-Texte aus dem 13. Jhd. enthalten wenige nicht-sitzende Asanas:
- Im Dattatreya Yogashastra wird Shavasana erläutert, die “Leichen-Stellung” allerdings ohne den Namen zu benennen. Hier geht es um die geheime Methodik des Auflösens, Laya Yoga. Hier werden auch erstmals die Gesamtzahl an bestehenden Asanas genannt: 8,4 Millionen.
- Vasishta Samhita, der neben dem Pfau auch den Hahn beschreibt.
Erst im einflussreichsten und heute bekanntesten Werk aus dem 15. Jhd., dem Hathayoga Pradipika des Swatmarama, werden all die verschiedenen Ansätze des Hathayoga kompiliert und in einem klaren System vermittelt. Er reduziert die Zahl der Asanas auf von 84, ohne diese konkret zu benennen. 4 Körperhaltungen seien von besonderer Wichtigkeit, das sind aber allesamt Sitzhaltungen. Svatmarama nennt 8 nicht-sitzende Körperhaltungen, die er teils genau so beschreibt wie die Beschreibung aus dem oben zitierten Vimanarcanakalpa. So bildet die Hathayoga Pradipika einen Rahmen, in den verschiedene Zitate anderer Texte eingebunden sind. Man hat inzwischen 8 Quellen identifizieren können, bei denen Svatmarama abgeschrieben hat. Zu den teils abgeschriebenen Asanas fügt er meist die positiven Wirkungen hinzu, so schreibt er nach der Kopie des Mayurasana-Verses mit interessantem Bezug zum Ayurveda:
Diese Asana heilt Leiden des Magens, der Drüsen und der Milz und beseitigt alle Beschwerden, die durch zuviel Vata, Pitta oder Kapha verursacht sind. Sie verdaut mit Leichtigkeit unmäßig und durcheinander eingenommenes Essen und verwandelt sogar das schreckliche Gift Hala Hala zu Asche.” Hathayoga Pradipika, 1.32
Das Gift Hala Hala drohte bei der Geschichte vom Quirlen des Milchozeans die Welt zu vernichten, wurde dann aber von Shiva neutralisiert.
“8,4 Millionen Körperstellungen wurden einst von Shiva gelehrt. Aus deren Mitte wurden die 84 hervorragendsten Körperstellungen zusammengestellt. Von diesen sind in der Welt der Sterblichen 32 Körperstellungen von Nutzen” Goraksha Shataka, 6. Vers
Die Gheranda Samhita aus dem 17. Jahrhundert berichtet auch von 8,4 Millionen Asanas, benennt dann aber nur 32 davon. Auch auf das 17. Jhd. ist das Hatha Ratnavali datiert, hier werden erstmals 84 Asanas konkret benannt und 36 davon genauer beschrieben.
Maßgeblich für die heutige Zeit ist das Werk des Brasilianers Sri Dharma Mittra, Jahrgang 1939. Er hat 1984 das berühmte “Master Yoga Chart” mit 908 Yogaübungen veröffentlicht, die er alle selbst vorgeführt hat. Er hat diese ausgewählt aus insgesamt 1300 fotografierten Asanas.
Quellen: bei meinen Recherchen habe ich mich auf die Arbeit der modernen Indologie gestützt, deren Arbeiten man im Internet gut nachvollziehen kann. Die meisten der genannten Texte sind online verfügbar und werden unter anderem im englischen Wikipedia gut zusammengefasst. Einen sehr guten Überblick zur Geschichte des Yoga und insgesamt zu aktuellen indologischen Arbeiten habe ich bei Yogic Studies bekommen. Aber konkret hat mir das Standardwerk “Roots of Yoga” am meisten geholfen, Dr. James Mallinson gilt als Koryphäe in dem Bereich.