Zugegeben…
die Überschrift ist sehr provokant, und kommt etwas plakativ daher.
Sicherlich ist “Gott” mehr als nur ein Wort oder ein Konzept. Aber um ihn/sie/es zu erfahren, so glaube ich, gilt es die Konzepte die hinter dem Wort stecken loszulassen! Das Wort Gott ist stark mit unterschiedlichsten Konzepten und Vorstellungen belastet. Die einen haben ganz starre und untereinander sehr widersprüchliche Konzepte von Gott, weswegen die anderen den Begriff völlig ablehnen. So oder so, es ist für spirituell Suchende wichtig, sich mit dem Begriff und den Konzepten zu befassen, um zu erkennen was dahinter steckt.
“Wenn der Weise auf den Mond zeigt, sieht der Idiot nur den Finger.”
sagt der Inder…
über “Gott” und die Welt:
Gott ist nur ein Wort
Auf dem spirituellen Weg stolpern wir zwangsläufig immer wieder über verschiedene Konzepte, die uns dann auch nicht mehr loslassen und über die wir viel nachdenken. Eins davon ist das Wort Gott.
Zunächst mal ist es nur ein Wort. In den verschiedenen Traditionen, Völkern und Teilen dieser Welt wird dieses Wort auf ganz unterschiedliche Weise interpretiert. Und wie wir wissen, gab es über die Interpretationen dieses Worts auch eine Menge Streit in der Vergangenheit ‒ viele Millionen Tote, die im Namen Gottes sterben mussten, weil dem einen das Konzept des anderen nicht gefallen hat.
Aber trotzdem lässt uns dieses Konzept nicht mehr los. Wenn wir auf dem spirituellen Weg sind, müssen wir schauen, was wir eigentlich für ein Konzept von diesem Begriff Gott haben.
Religion ohne Gotteskonzept
Es gibt auch Traditionen, die ganz ohne das Konzept zurechtkommen. Allen voran der Buddhismus: Da gibt es keinen Gott. Buddha hat sich ja sozusagen geweigert, transzendente Konzepte zu beschreiben oder Antworten zu geben auf transzendente Fragen. Den Begriff Gott oder auch den Begriff Wiedergeburt hat er nur ganz peripher erläutert.
Gerade wenn wir aus dem westlichen Kulturkreis kommen, sind wir da schon sehr geprägt, was den Begriff Gott angeht. Denn im Christentum spielt das eine ganz große Rolle.
Aber der Begriff ist sehr diffus. Es heißt ja auch in den Zehn Geboten: Du sollst dir kein Bild von Gott machen. Das heißt nicht nur, dass wir Gott nicht malen, sondern dass wir uns auch kein innerliches Bild oder keine konkrete Vorstellung von Gott machen.
Trotzdem neigen wir Menschen dazu, dass wir ein Bild brauchen. So ist das schon mal ein schwieriger Punkt, sich kein Bild von Gott zu machen. Wir brauchen eben irgendwas, um es ansatzweise zu verstehen oder kategorisieren zu können.
„Gott“ ist universell
Die Inder haben dieses Problem nicht. Da gibt es diese Regel nicht, dass man sich kein Bild von Gott machen soll. Im Gegenteil: Die Inder machen sich gleich ganz viele Bilder von Gott. Vielleicht kann man sogar sagen, das ist ein Problem, das die Inder haben: Sie haben einmal angefangen, sich ein Bild von Gott zu machen ‒ und können jetzt nicht mehr aufhören, weil Gott unendlich ist.
Trotz allem ist „Gott“ nur ein Konzept, es ist nur ein Wort. Und man kann ganz unterschiedliche Dinge hineinprojizieren in dieses Wort „Gott“. Aber ich glaube, wenn es Gott gibt bzw. wenn es etwas gibt, was man als göttlich bezeichnen kann, dann kann das nur etwas Universelles sein, was für alle Menschen gleich ist.
Unser Planet ist rund und wir sind alle mit einer Nase und zwei Beinen geboren, trotz aller Verschiedenheit sind wir Menschen alle irgendwo gleich. Meiner Meinung nach kann es nur so sein, dass es eine universelle Wahrheit gibt, die für alle gleich ist.
Das Problem ist nur: Was ist diese universelle Wahrheit? Und wie können wir uns dieser universellen Wahrheit nähern, ohne dabei zu glauben, wir sind jetzt auf dem richtigen Weg und die anderen nicht?
Gott ist sowohl… als auch…
Den Fehler haben früher schon andere gemacht. Damals sind viele unter diesen falschen Vorstellungen gestorben, da man dachte, man hätte das richtige Konzept und die anderen eben nicht. Deswegen ist es wichtig, dass wir einen Zugang finden, der vielleicht für uns universell aussieht, aber trotzdem sehr offen ist. Dass wir nicht sagen „So und so ist es und die anderen haben Unrecht.“
Sukadev sagt das immer so schön: Es ist nicht „entweder… oder…“, sondern „sowohl… als auch…“. Auch wenn wir zu einem Konzept kommen, von dem wir überzeugt sind, sollten wir dennoch immer wissen, dass der andere genauso recht hat wie wir.
Wenn wir jetzt davon ausgehen, ein universelles Konzept zu haben, ist es eben wichtig, dass wir dieses nicht zu eng benennen. Im Zeichen der heutigen Zeit, in der es wichtig ist, dass die Menschen mehr aufeinander zukommen, dass sie mehr die Gemeinsamkeiten suchen als die Gegensätze, sollten wir in Bezug auf Gott ein Konzept haben, das verbindet, das verschiedene Richtungen miteinander vereinen kann und das nicht weiter voneinander trennt.
Man kann das universelle Prinzip auf unterschiedlichste Weise benennen
Im ältesten Text der Inder, im Rigveda, steht das sehr schön geschrieben. Da heißt es: Es gibt nur eine Wahrheit, aber die Weisen benennen sie unterschiedlich.
Das heißt, auch wenn es nur ein universelles Prinzip gibt, kann man es auf unterschiedliche Weise benennen. Und dieses Transzendente, dieses unsere Vorstellungen Übersteigende, was Gott letztlich ist, kann man auf solche oder auf ganz andere Weise beschreiben.
Ein arabischer Wüstenvater, ein australischer Ureinwohner und ein Höhlen-Yogi aus dem Himalaya haben jeweils eine ganz andere Kultur, ganz andere Worte, ganz andere Bilder. Vielleicht machen sie genau dieselbe spirituelle Erfahrung, aber sie benutzen andere Worte um sie zu beschreiben.
Man sollte spirituelle Konzepte nicht wörtlich nehmen
Das Problem ist, dass diese Worte, diese Konzepte, die sie benutzen, um etwas zu beschreiben, das letztlich jenseits der Konzepte ist, dann wörtlich genommen werden.
Die eine universelle Wahrheit kann also so oder so beschrieben werden. Wir sollten da nicht an den Worten oder den Konzepten festhängen, sondern schauen, worauf diese Konzepte hindeuten wollen.
Im Yoga sagen wir: Du sollst den Finger, der auf den Mond zeigt, nicht mit dem Mond selbst verwechseln. So ist das Wort „Gott“ der Finger, der auf etwas hindeutet. Aber das Wort ist nicht das, worum es geht.
Die Worte sind wie ein Pfeil oder wie eine Beschreibung von etwas, worauf sie hindeuten. Und da gilt es zu schauen, wo die Worte drauf hindeuten wollen.
Brahman, Bhagavan und Paramatma ‒ drei Konzeptionen Gottes
Vielleicht noch ein weiterer Vers aus dem Srimad Bhagavatam ‒ das ist auch einer der ganz alten Texte der Inder. Dort heißt es sehr schön: Die Weisen sehen das Höchste auf unterschiedliche Weisen. Oder: Die eine höchste Wirklichkeit wird von den Weisen auf 3 Weisen beschrieben. Das ist Brahman, Bhagavan und Paramatma.
Das sind wiederum drei Konzepte, die erst mal völlig unterschiedliche Dinge meinen, aber letztlich dasselbe. Brahman ist das alldurchdringende Bewusstsein, das Absolute, das allem zugrunde liegt und das jenseits unserer Vorstellung liegt. Bhagavan ist sozusagen die Persönlichkeit Gottes. Shiva z.B. ist ein Aspekt von Bhagavan, ein persönlicher Aspekt von Gott. Und Paramatman ist das höchste Selbst.
Gott ist also zugleich das Absolute, Unbeschreibliche, eine Persönlichkeit seiner selbst und das Höchste Selbst. Das sind drei verschiedene Dinge, die die höchste Wirklichkeit oder „Gott“ letztlich ausmachen.
Gott ist nur ein Wort: Verstehen, worum es eigentlich geht
Und so streiten sich seit Urzeiten die Philosophen darüber, welches dieser Konzepte richtig ist. Da kann man gerne mitmachen und sich für ein Konzept entscheiden und sich dafür streiten.
Aber ich glaube, sinnvoller wäre es zu sehen: Okay, es gibt einfach verschiedene Blickwinkel. Ich will mich nicht daran festhalten, von welcher Richtung der Finger auf den Mond zeigt, sondern ich will erkennen, worauf diese Konzepte hindeuten wollen.
Das ist letztlich das, worum es in der Spiritualität geht, dass wir nicht irgendwelche Konzepte annehmen, uns vor diesen Konzepten verneigen und diese Konzepte verehren, sondern dass wir schauen: Was sind das für Konzepte und worauf wollen sie hindeuten?
Das Wort „Gott“ ist eben ein Konzept, das man so oder so sehen kann. Wichtig ist zu schauen, worauf es hindeuten soll, und sich dann eben nicht an den Worten festzuhalten, sondern zu verstehen, worum es eigentlich geht.