Einer der bekanntesten und tiefgründigsten Verse der Bhagavad Gita ist sicher der 18. des IV. Kapitels:
“Wer das Nichthandeln im Handeln sieht und das Handeln im Nichthandeln, ist wahrlich unterscheidend in transzendenter Position während er alle Handlungen ausführt.”
oder in der lyrischen Übersetzung Leopold von Schröder:
“Wer in der Tat das Nichttun schaut und in dem Nichttun grad’ die Tat, Der ist ein einsichtsvoller Mensch, andächtig tut er jede Tat.”
Im Grunde steckt in diesem Vers die ganze Lehre des Vedanta: Es gilt zu erkennen, nicht der Handelnde zu sein, sondern das Bewusstsein, in dem die Handlung geschieht. Also man handelt, ohne sich mit der Handlung zu identifizieren, ist der neutrale Wahrnehmende, unberührt von allen Handlungen.
Handeln im Nichthandeln und Nichthandeln im Handeln
Wenn man das liest, wer nicht handeln im Handeln sieht und handeln im nicht handeln. Da kann man viel darüber nachdenken…
Es ist ja so: das Selbst, das was wir eigentlich sind, ist unberührt von Körper, Verstand, Gefühl, Empfindungen und Wahrnehmungen. Das Selbst ist sozusagen der Urgrund, von dem, was ist, das Bewusstsein, in dem alles stattfindet. Der Yogi, der das höchste Bewusstsein erreicht hat, erkennt, dass er nicht der Handelnde ist. Wir glauben ja mit unserem begrenzten Bewusstsein, dass wir der Handelnde sind. Wir sind derjenige der etwas tut, derjenige der wahr nimmt, oder derjenige der in dieser Welt irgendwie zurechtkommen muss. Aber in Wirklichkeit, so sagen die Meister, sind wir das Bewusstsein in dem das alles stattfindet. Der Körper ist unser Werkzeug, mit dem wir uns fälschlicherweise identifiziert haben und funktioniert im Grunde selbsttätig.
So wie Schopenhauer sagt:
“Der Mensch kann zwar tun was er will aber nicht wollen was er will”
…ist unser Körper stets von den 3 Gunas zum Handeln gezwungen. Es sind diese 3 Energien, die uns in Bewegung halten, die dafür sorgen das wir etwas tun. Da das Selbst außerhalb oder jenseits der Handlungen liegt, bzw. da das Selbst nicht der Körper, der Geist, das Gefühl, oder die Empfindung ist, können wir letztlich auch nichts tun um dort hin zu kommen. So wie Krishnamurti sagt, du kannst nichts tun, um das höchste Bewusstsein zu erreichen. Aber wenn du nichts tust, wirst es nicht erreichen. Das ist eine Zwickmühle, denn alles was wir tun findet, innerhalb des Körpers, der Gefühle und der Gedanken statt. Also egal was wir tun, es ist eine Handlung innerhalb der Upadhis, innerhalb der 3 Körper und der 5 Hüllen. Aber das Selbst ist jenseits von allem.
Da könnte man sich jetzt fragen, warum machen wir das dann alles, das ganze Yoga und so weiter. Jedes Yoga, jede Übung die wir machen ist ja eine Handlung. Die Handlung findet statt im Körper, im Gefühl, im Geist. Das Selbst liegt jenseits davon. Und letztlich gibt es auch keine Handlung, die uns zur Erkenntnis des Selbst führen kann. Weil das Selbst jenseits davon liegt. Aber wir führen diese Handlungen aus, wir üben Yoga um unser System der 3 Körper und der 5 Hüllen zum besseren funktionieren zu bringen, um das Licht, die Energie mehr strahlen zu lassen. So werden wir frei von Belastungen die wir mit unserem Körper, mit den Gedanken, mit den Gefühlen haben und lösen Identifikation damit auf. Denn wenn der Körper schmerzt, oder die Gedanken quälend sind, dann können wir auch schwierig Identifikation auflösen. Dann können wir uns nicht innerlich lösen von unserem Körper und können auch nicht das Selbst erkennen. Die ganzen Übungen machen wir, um unser Werkzeug zum Strahlen zu bringen, damit es uns keine Sorgen bereitet, damit wir es loslassen können, um dann hoffentlich das Selbst zu erkennen.
“Das Selbst erkennen” ist auch wieder ein Paradox, weil das Selbst kann sich nicht erkennen, sondern das Selbst ist ja die Erkenntnis selbst. Das ist etwas paradox, das wird gerne mit dem Auge verglichen, was sich auch nicht selbst sehen kann. Und genau so kann sich das Selbst auch nicht selbst erkennen. Sondern das Selbst kann sozusagen irgendwann erkennen, dass es die Erkenntnis selbst ist. So kommt Krishna zu der Aussage, wer nicht handeln im Handeln sieht, wer sieht, dass er, obwohl er handelt, eigentlich das nicht handelnde Bewusstsein ist, was dem zu Grunde liegt und gleichzeitig wer Handeln im nicht handeln sieht, also wenn ich glaube nicht zu handeln, wenn ich da sitze und meditiere findet, dennoch im Geist sehr viel handeln statt. Wer also im offenbar nicht handeln sieht das da auch handeln passiert, der hat es erkannt.
Handeln im Nichthandeln und Nichthandeln im Handeln
Wir haben es jetzt vielleicht intellektuell nachvollziehen können worum es geht, nämlich zu erkennen, dass das selbst nämlich der Urgrund ist, von dem was alles ist. Oder das Bewusstsein, was dem ganzen zu Grunde liegt und der Körper nur das Werkzeug ist mit dem wir uns fälschlicherweise identifiziert haben. Aus dieser Identifikation rührt unser Leiden her. Aber das intellektuell zu verstehen heißt noch nicht, es erkannt zu haben. Diese bloße Erkenntnis was das Selbst ist, das ist auch schon das höchste Ziel des Yoga.
Es geht eigentlich nur darum, das Bewusstsein, das was wir Satchitananda nennen, diesen Urgrund unserer Seele, dieses Ungreifbare, Unveränderliche, dieses Undendliche, was dem ganzen zu Grunde liegt, zu erkennen. Bzw. zu erfahren, dass wir nicht etwas sind was wir wahrnehmen können, sondern das worin die Wahrnehmung stattfindet. Das ist die Geschichte mit dem Subjekt und dem Objekt, alles, was ich als ein Objekt wahrnehmen kann, kann nicht das Selbst sein. Wenn ich dieses Mikrofon als ein Objekt wahrnehmen kann, bin ich das Subjekt und das Mikrofon das Objekt. Wenn ich jetzt herausfinden will, wer ich bin, was mein Selbst eigentlich ist versuche ich herauszufinden was ich nicht bin. Ich bin nicht die Objekte, die ich wahrnehmen kann. Sondern das Subjekt, welches wahrnimmt. Gleichzeitig wie das Mikrofon kann ich auch meine Hand auch als ein Objekt wahrnehmen. Also kann ich nicht die Hand sein, weil ich bin das, was wahrnimmt. Genauso ist es aber auch mit den Gedanken, Gefühlen und Empfindungen. Also kann man sagen, alles was man wahrnehmen kann, alles was man als ein Objekt erfassen kann, kann nicht das Selbst sein. So kann man schrittweise ergründen was das eigentliche Selbst ist, die Frage wer bin ich ergründen, in dem man sich von all den Objekten dieser Welt löst. Und dann irgendwann erkennt, wie es hier im Vers heißt:
“Wer nicht handeln im handeln sieht und handeln im nicht handeln, ist weise unter den Menschen. Er ist Yogi und führt alle Handlungen aus.”