Nachdem Patanjali zum Beginn des 3. Kapitels die drei letzten Glieder des Ashtanga erläutet hat, bringt es diese nun zusammen unter dem Begriff “Samyama”. Also die drei Begriffe Dharana, Dhyana und Samadhi sind als Stufen von Samyama zu verstehen, je nach dem wie weit man auf dem Weg des Raja Yoga fortgeschritten ist, wird die innere Sammlung tiefer und entsprechend die nächste Stufe erreicht. Man beginnt sozusagen mit Dharana, der inneren Konzentration auf ein Objekt und geht dann über den Zustand der Meditation bis zu Samadhi wo dann das Objekt wahrgenommen wird ohne ein Subjekt.
Patanjali beschreibt Samyama als die Fähigkeit, Konzentration, Meditation und Absorption gleichzeitig zu praktizieren. Der Prozess beginnt damit, dass man ein Thema oder eine Tätigkeit wählt und es mit seiner ganzen Aufmerksamkeit konzentriert. Im nächsten Schritt geht man in Meditation, um den Fokus auf das Objekt der Übung zu lenken und innerlich nach Absichten und Bedeutungen zu suchen. Schließlich absorbiert man sich selbst in die Erfahrung, wodurch man in der Lage ist, tiefere Ebenen der Wahrnehmung und des Verständnisses zu erfahren. Mit Samyama können Menschen höhere Ebenen des Bewusstseins sowie besondere Fähigkeiten erreichen und Klarheit bezüglich ihrer Ziele erlangen.
Vers 3.4 des Vibhuti Pada in Patanjalis Yoga Sutra
3.4.त्रयमेकत्र संयमः
trayam-ekatra saṁyamaḥ
trayam= die drei, Trinität, Triade, Dreiheit
ekatra = vereint, gemeinsam, zusammen, an einem Ort
saṁyamaḥ = Integration, Versenkung, Zusammenbinden, Sammlung
“Die drei bilden gemeinsam die Integration.”
oder
“Die Dreiheit (Dharana, Dhyana, Samadhi) sind zusammen die Versenkung/ Sammlung (Samyama).
Also wie in der Einleitung vermittelt bezeichnet Patanjali die drei höchsten Stufen seines Ashtanga Modells als Samyama. Entscheidend ist ein geduldiges schrittweises vorgehen um die Befreiung über Samadhi zu erreichen. Einfaches Samadhi ist noch nicht Moksha, es ist zunächst nur ein vorübergehendes Zustand, dieser ist jedoch das ideale Mittel um dann “Nirvikalpa Samadhi” zu erreichen, also zu erkennen, dass alles eins ist. Samyama bedeutet die Fähigkeit durch gleichmütiges Betrachten ein tiefes Verstehen eines Objektes zu erlangen und mit den damit verbundenen Energien in Verbindung zu treten, je nach dem wie weit man fortgeschritten ist wird man eben tiefer und stärker eintauchen. Swami Vivekananda beschreibt es als: “das Äussere des Gegenstandes vom Inneren trennen.” Sriram benennt die drei Stufen als “Tiefen der Wahrnehmung”, also je tiefer wir meditieren, desto weiter wird die Wahrnehmung, es eröffnen sich neue Ebenen des Bewusstseins verbunden mit dem Objekt der Meditation.
Vers 3.5, Patanjali Yoga Sutra
3.5.तज्जयात् प्रज्ञालोकः
tajjayāt prajñālokaḥ
tat = der, die, das, dort, daraus
jayāt = Besiegen, Meisterschaft, Herrschaft, Beherrschung
prajñā = Einsicht, Urteilskraft, vollkommenes Wissen
ālokaḥ = Sehen, Erblicken, Licht, Sichtbares
“Wird dadurch Beherrschung (über das Objekt) erreicht, kommt das Licht der Weisheit.”
oder
“Tiefe Einsicht ist das Ergebniss der Beherrschung dessen.”
Also wenn wir unseren Geist meditativ auf das Objekt der Wahrnehmung ausrichten und nach und nach alles andere loslassen, können wir tiefe Einsichten bekommen die mit dem Objekt verbunden sind. Es öffnet sich sozusagen unsere Intuition wenn wir nicht mehr werten, analysieren und urteilen. Das “Licht der Weisheit” wird sich uns offenbaren wenn wir schrittweise in Samyama tauchen, also zunächst uns so gut wie möglich konzentrieren und dann von selbst in die Zustände Meditation und Samadhi gehen.
Vers 3.6, Patanjali Yoga Sutra
3.6.तस्य भूमिषु विनियोगः
tasya bhūmiṣu viniyogaḥ
tasya = seine, dessen, jenes
bhūmiṣu = Stufe, Grad, nach und nach, Aufbauend
viniyogaḥ = Gebrauch, Anwendung, Aufteilung
“Dieses erfolgt Stufenweise.”
oder
“Die beschriebene Praxis verläuft in Schritten.”
Also wie gesagt wird die Wahrnehmung und die Erfahrung tiefer je weiter man die Sufen des Ashtanga erreicht. Die im weiteren Yoga Sutra beschriebenen Samyama Techniken werden intensiver je nach dem ob man nur einfache Konzentration, tiefe Meditation oder Samadhi auf das Objekt ausübt.
Im Artikel über die Verse 1-3 des 3. Kapitels habe ich bereits beschrieben wie diese drei Stufen zu verstehen sind:
- Dharana ist die Ausrichtung des Geistes auf ein Objekt
- Dhyana ist das automatische Strömen des Geistes zum Objekt
- Samadhi ist das Verschmelzen mit dem Objekt und die Auflösung des Subjektes.
Und so müssen die einzelnen Samyama Methoden auch betrachtet werden, je nach dem ob man Dharana, Dhyana oder Samadhi übt wird Erkenntnis und Erfahrung entsprechend tiefer.
Soweit meine Ausführungen zu den Versen 4-7 des Vibhuti Pada in Patanjalis Yoga Sutra.