Mit diesem Beitrag möchte ich auf die Spirituelle Tiefe des Islam verweisen, leider findet diese in der öffentlichen Debatte kaum Beachtung.
Die Menschheit leidet schon immer unter den Machenschaften der Sturköpfe. Jegliches elitäre und dogmatische Denken führt dauerhaft zu immer mehr Trennung und mündet früher oder später in Gewalt. Derzeit überziehen Fundamentalisten aus dem Islam die Welt mit Angst und bringen damit ihre eigene Glaubens-Gemeinschaft ins Abseits.
Durch meinen intensiven Kontakt mit Sufis, den Mystikern des Islam, habe ich eine ganz andere Sicht auf den Islam bekommen. Entgegen des Bildes vom Islam welches die Medien dominiert, hat der Islam ganz klar den Frieden als Ziel: Frieden mit sich selbst, mit den Mitmenschen und mit Gott.
Ein Problem welches ich (von außen betrachtet) sehe ist, dass viele Moslems die Lehren des Propheten nicht auf die heutige Zeit übertragen. Vieles von Mohammeds (SAW) Aussagen galten für die besonderen Bedingungen zu seiner Zeit. So galt z.B. seine Empfehlung ein Hijab zu tragen dem Schutz der Frauen, es war ganz klar kein Instrument der Unterdrückung. So gibt es Alhamdulillah heute eine Bewegung von modernen Moslems die sich bemühen ihre Religion entsprechend der modernen Zeit auszuleben.
Inspiration aus dem Islam
Ich denke es ist für Yogis und jeden wahrhaft an spiritueller Befreiung interessierten Menschen von großer Wichtigkeit sich darum zu bemühen den Kern der Weltreligionen zu erkunden. So sollten wir uns auch für die spirituelle Dimension des Islam öffnen und uns nicht von dogmatischen Sturköpfen beeindrucken lassen.
Weiterführende Informationen
- Ausführicher Artikel über Konzepte aus dem Islam / Sufitum
- Interview mit Sheikh Hassan Dyck – Sufilehrer im Naqshbandhi Orden
- Interview mit Marwan (Marvin Dillmann) – Sufi und islamischer Mystiker
Aussagen aus dem Vortrag:
- „Lā ilāha illā ’llāh“ “Es gibt keinen Gott außer Gott”
- „bismi ʾllāhi ʾr-raḥmāni ʾr-raḥīmi“ “Im Namen des barmherzigen und gnädigen Gottes”
- „bismi ʾllāh “im Namen des Herrn”
- „In schā’a llāh“ „So Gott will“
- „Mā šāʾ Allāh“ „Gott hat es so gewollt“
- „Alhamdulillah“ „Ehre sei Gott“ oder „Gott sei Dank“
wa-ʿalaikumu s-salām Friede sei mit Dir!
Transkription
Satsang Talk – Inspiration aus dem Islam
Salam Alaikum ‒ Friede sei mit euch, sagt man im Islam. Ich wollte heute Morgen ein bisschen darüber sprechen, dass der Islam auch eine tiefe spirituelle Dimension hat, die in der heutigen Wahrnehmung häufig untergeht. Denn ähnlich wie im Christentum sind auch im Islam die verborten Schriftgläubigen, die sich einfach nur stumpf an die Regeln halten, die einfach nur die vorgegebenen Glaubenssätze übernehmen und das gar nicht hinterfragen, stark im Vordergrund und eben auch stark an der Macht.
Historisch ist es sogar so, dass im Islam in den letzten Jahrzehnten und Jahrhunderten über Saudi-Arabien eine Strömung immer mehr in den Vordergrund gerückt ist: die Wahabiten, die die spirituelle Dimension quasi ganz ausgeklammert haben, sich nur noch an der reinen Schrift orientiert und da eben sehr radikale Einstellungen haben. Unter anderem die Taliban, die Isis und die Salafisten ‒ das sind alles verschiedene Ableger der Wahabiten. Die Saudis, die natürlich sehr viel Geld haben, finanzieren diese Radikalen.
Aber wenn ich an mein Leben zurückdenke, habe ich immer nur schöne Begegnungen mit Muslimen gehabt, die sehr spirituell waren.
Inspiration aus dem Islam: Mit Liebe kochen (bzw. seine Aufgabe erfüllen)
Ich erinnere mich zum Beispiel an meine Koch-Ausbildung. Da hatte ich einen Mitausbilder, Osman aus Ägypten. Osman konnte ganz wenig Deutsch, aber von ihm habe ich ganz viel gelernt. Ich habe damals im Gardemanger gearbeitet, das ist dort, wo die kalten Vorspeisen vorbereitet werden. Wir haben auch Patisserie zusammen gemacht, also die Süßspeisen.
Osman hat mich immer ausgebremst und gesagt: „Marcel, Marcel, du musst immer mit Liebe kochen!“ Und das hat er so oft wiederholt, ich habe bestimmt ein Dreivierteljahr mit ihm zu zweit zusammengearbeitet, dass ich das verinnerlicht habe. Und das war auch das, was Osman so geprägt hat, dass er alles so liebevoll gemacht hat.
Dadurch habe ich auch nochmal einen ganz anderen Blick auf die Spiritualität im Islam bekommen. Osman war ein sehr wacher, ein sehr gottesfürchtiger Mensch.
Inspiration aus dem Islam: Selbst eintauchen in die Wahrheit
Vor ein paar Jahren hatte ich sehr viel Kontakt mit Sufis. Der Sufismus ist ja eine Strömung im Islam, in der es um Mystik geht, in der es um die eigene Gotteserfahrung geht. Im Islam ist das ähnlich wie im Christentum. Da gibt es die dogmatischen Schriftgläubigen, denen es nur um die reine Lehre geht, die versuchen das Ganze im Verstand zu durchdringen: Hauptsache, man hält sich an die Regeln und stellt irgendwie Gott zufrieden.
Und auf der anderen Seite gibt es die Spirituellen, die Mystiker, die eintauchen wollen in die Wahrheit, die erfahren wollen: Wenn es Gott gibt, dann muss das doch etwas mit mir zu tun haben! Dann muss das doch auch erlebbar sein!
Die Mystiker im Islam sind vor allen Dingen die Sufis. Die Sufis haben Praktiken entwickelt, mit denen man unmittelbar Gotteserfahrungen machen kann. Ich hatte damals Kontakt zu einem Sheikh, der mich sehr inspiriert hat. Das ist ein Deutscher, der in den siebziger Jahren zum Islam, zum Sufitum gekommen ist ‒ mit so einem lustigen langen Bart, so einer runden Brille und so einem spitzen Turban.
Er hat mich damals so inspiriert, dass ich kurz davor war, auch zum Islam zu konvertieren (Das kam bei meiner Familie gar nicht so gut an 😉 ). Jedenfalls war ich da so inspiriert, dass ich mich mit dem Islam beschäftigt habe.
Inspiration aus dem Islam: Sich bei Alltagshandlungen immer wieder an Gott erinnern
Das ist ganz spannend, dass es im Islam unter diesem fundamentalistischen, schriftgläubigen, betonköpfigen, oberflächlichen Weg eine ganz besondere Tiefe gibt. Da ist eine ganz starke, machtvolle Spiritualität dahinter. Das wird schon deutlich, wenn sagen-wir-mal ganz normale Muslime ihre Gewohnheiten leben.
Es gibt beispielsweise so Floskeln, die Muslime immer wieder benutzen. Immer wenn sie etwas Neues beginnen oder wenn sie etwas essen, dann sagen sie „bismi ilāh“. Bismi ilāh heißt „im Namen des Herrn“. Das machen Muslime bestimmt 50 Mal am Tag. Wenn sie ein Glas Wasser trinken, denken sie zuerst „bismi ilāh“ und dann trinken sie das Glas Wasser.
Das hilft, um sich immer wieder an Gott zu erinnern. Man schafft sich mit diesen Floskeln Gewohnheiten, um sich innerlich immer wieder auf Gott auszurichten. Man muss natürlich dafür keine arabischen Floskeln verwenden. Wenn man ein Glas Wasser trinkt, wenn man etwas isst, wenn man etwas Neues beginnt, wenn man in einen Raum hereintritt, dann denkt man immer oder man sagt leise „bismi ilāh“, „im Namen des Herrn“.
Bismi ilāh ist auch der Anfang von einem ganz zentralen Gebet im Islam, wo es heißt „Bismi ʾllāhi ʾr-raḥmāni ʾr-raḥīmi“, das heißt „Gott ist der Barmherzige und Allmächtige“. Das ist etwas, woran man sich im Islam durch die Floskel immer wieder erinnert: dass Gott barmherzig ist, dass Gott immer bereit ist uns Gnade zu schenken und dass Gott die Allmacht hat.
Inspiration aus dem Islam: Wieder mit Gott verschmelzen
Ich habe vor ein paar Tagen noch darüber gesprochen, dass letztlich alles Gott ist. Es gibt, in der islamischen Weise Gott zu betrachten, zunächst mal eine ganz klare Trennung: Gott ist eine Instanz außerhalb von mir, die größer, mächtiger und stärker ist, vor der ich mich verneige, der ich mich hingebe, zu der ich bete.
Aber die Sufis sagen, dass man letztendlich wieder mit Gott verschmelzen kann, wenn man sich ganz frei macht von seinen persönlichen Begrenzungen und ganz in der Demut, in der Hingabe verschmilzt. Das Wort Muslim bedeutet ja auch „einer, der hingegeben ist“, „einer, der sich Gott hingibt“.
Wenn das passiert, dann können wir irgendwann mit Gott verschmelzen und dann können wir die wahre Bedeutung der Formel „Lā ilāha illā ’llāh“ entdecken. Lā ilāha illā ’llāh ist das zentrale Gebet, die zentrale Formel im Islam, mit der auch im Sufismus sehr viel gearbeitet wird.
Inspiration aus dem Islam: Es gibt nichts außer Gott
Die Übersetzung dieses Verses kann man unterschiedlich machen. Man sagt normalerweise „Es gibt keinen Gott außer Gott.“ Es gibt also nichts anderes als den einen Gott. Wir Yogis würden sagen, Krishna und Shiva und Saraswati sind Darstellungen des einen Gottes. Wir sagen auch, es gibt nur einen Gott. Aber im Islam steht eben das Gebot Mose stark im Vordergrund, dass man sich kein Bild machen soll. Deswegen ist im Islam das, was wir Yogis machen, sozusagen No-Go.
Dass wir uns Bilder von Gott machen, das wäre aus islamischer Sicht „haram“. Haram heißt „nicht den Lehren entsprechend“. Aber letztlich sagen wir Yogis auch Lā ilāha illā ’llāh, es gibt nur einen Gott.
Die Sufis interpretieren diesen Vers noch ein bisschen tiefergehend. Sie sagen: Es gibt nichts außer Gott. Es gibt nur die göttliche Wirklichkeit. Alles ist durchdrungen von Gott.
Inspiration aus dem Islam: Nondualität erfahren durch Sufi-Rituale
Das ist dann auch wieder die Nondualität, die wir im Yoga haben. Dass wir irgendwann durch unsere Hingabe dahin kommen, dass wir erkennen, dass alles durchdrungen ist von Gott. Dass es nichts gibt, was außerhalb von Gott ist.
Das ist eben dieser Vers Lā ilāha illā ’llāh. Die Sufis wiederholen diesen Vers stundenlang. Sie machen Rituale, wo sie im Kreis stehen, nach vorne und hinten schaukeln und dabei immer wieder wiederholen: „Es gibt keinen Gott außer Gott“, „Es gibt nichts außer der göttlichen Wirklichkeit“. Dann kommen sie in tranceartige Zustände.
Das waren wirklich tiefgreifende spirituelle Erlebnisse, die ich machen durfte, als ich mit Sufis solche Rituale, solche Zusammenkünfte hatte. Und natürlich habe ich dabei irgendwann erkannt: Es spielt überhaupt keine Rolle, ob ich zum Islam konvertiere oder nicht. Im Endeffekt war es wahrscheinlich gut, dass ich es nicht getan habe, sonst würde ich wahrscheinlich jetzt hier [beim Satsang im Yoga Vidya Center Westerwald] nicht sitzen. Aber es hat mich auf jeden Fall sehr tief berührt.
Inspiration aus dem Islam: sich darin üben, dankbar zu sein
Dann gibt es noch weitere Floskeln, die im Islam verwendet werden, zum Beispiel Alhamdulillah. Das heißt „Gott sei Dank“. Ich hatte bei meinem letzten Job eine ägyptische Arbeitskollegin, die war etwa 64, kurz vor der Rente, eine kraftvolle Mutti. Und wenn man sie fragte, wie es ihr geht, hat sie immer gesagt: „Alhamdulillah“. Und das hieß: Gott sei Dank geht’s mir gut. Gott sei Dank funktioniert alles. Sie hatte einen Haufen Probleme, aber Alhamdulillah lebt sie noch, kann ihre Aufgaben machen ‒ Gott sei Dank.
Alhamdulillah ist auch ein sehr schöner Satz, um uns darin zu üben, dankbar zu sein. Auch wenn wir einen Haufen Probleme haben: Wir können froh sein, dass wir hier in dieser Zeit leben, wo wir frei unsere Meinung äußern dürfen, wo wir tun und lassen dürfen, was wir wollen, solange wir niemandem schaden. Wir haben ein Dach überm Kopf, wir haben keine Sorgen, was wir morgen essen sollen ‒ da können wir sehr dankbar für sein.
Inspiration aus dem Islam: Dankbarkeit macht glücklicher
Diese Dankbarkeit, die sich in diesem Satz ausdrückt, die können wir kultivieren. Und die sollten wir kultivieren, egal was wir für eine spirituelle Einstellung, was wir für einen Glauben haben. Dankbarkeit ist ein ganz wesentlicher Schlüssel, um glücklich zu werden.
Vor ein paar Jahren habe ich mich einmal intensiv beschäftigt mit wissenschaftlichen Anschauungen darüber, was man braucht um glücklich zu sein. Es gibt da inzwischen eine ganz eigene Strömung von Wissenschaftlern. Es gibt in Holland ein paar Vorreiter, die interdisziplinär daran arbeiten zu gucken, was der Mensch eigentlich braucht um glücklich zu sein.
Einer der ganz wesentlichen Punkte ist da Dankbarkeit: dass wir keinen Neid darauf haben, was die anderen Besseres haben, dass wir nicht immer überlegen, was wir noch Größeres und Tolleres haben könnten, sondern dass wir dankbar sind mit dem, was wir haben. Und das drückt sich in diesem schönen Vers aus: Alhamdulillah ‒ Gott sei Dank, ich hab alles, was ich hab, ich bin der, der ich bin, und alles ist gut.
Inspiration aus dem Islam: Uns die Geschenke Gottes bewusst machen
Dann gibt es noch „Mā šāʾ Allāh“. Mā šāʾ Allāh sagen Muslime, wenn sie etwas Schönes sehen: „so wie Gott es will“ oder „so wie Gott es beliebt“. Oder man kann das auch frei übersetzen mit „Das hat Gott aber toll gemacht.“ Mā šāʾ Allāh dient dazu, dass wir uns an Gott erinnern, wenn wir etwas Schönes sehen.
Zum Beispiel wie das Licht jetzt hier in den Raum strömt, da kann ich nur sagen Mā šāʾ Allāh, toll von Gott, was der uns hier für ein schönes Lichtspiel zaubert am frühen Morgen! Da können wir uns immer wieder erinnern, dass Gott uns diese Schönheit in dieser Welt geschenkt hat.
Und noch ein letzter Vers: Immer wenn es um die Zukunft geht, sagen die Muslime „In schā’a llāh“, so Gott will: „Wir sehen uns gleich auf ´nen Kaffee, Josef ‒ in schā’a llāh. (Wenn du gleich aufgehalten wirst unterwegs, dann nicht. Aber, in schā’a llāh, trinken wir einen Kaffee zusammen.)“
Wir wissen nicht, was die Zukunft bringt. Ich habe vor, nächste Woche mit meiner Frau nach Italien zu fahren ‒in schā’a llāh, wer weiß, was passiert. Vielleicht bekommen wir einen Anruf und fahren doch nach Frankreich. Wir wissen nicht, was Gott mit uns vorhat. Wir können nur eine Intention haben, wir nehmen uns etwas vor, aber was letztendlich kommen wird ‒ in schā’a llāh: Schauen wir, was Gott will.
Medien und Fundamentalisten prägen ein verqueres Bild, das dem Islam nicht gerecht wird
Und so wollte ich einfach nur ein paar Sachen erzählen über diese spirituelle Ebene, die es im Islam gibt. Diese fundamentalistischen Sturköpfe, die sind halt gerade sehr in den Medien und sehr stark im Vordergrund. Aber wir vergessen dadurch leicht, dass im Islam noch eine starke Tiefe dahinter ist.
Diese Menschen, die im Islam sehr spirituell sind, die leiden eben auch stark darunter, dass sie so viel mit Vorurteilen zu tun haben. Das ist ganz schlimm für die. Das sind herzensgute Leute, die einfach nur Gott dienen wollen und die jeden Menschen offen begrüßen.
Dadurch, dass in den Medien und natürlich durch diese Sturköpfe so vieles verquer bei den Menschen ankommt, haben Muslime es eben ganz schwer, weil sie ständig mit diesen hartnäckigen Vorurteilen zu tun haben. In schā’a llāh wird sich das ändern!