Bei Patanjalis Aufzählung der übersinnlichen Fähigkeiten im 3. Kapitel des Yoga Sutra geht es an dieser Stelle um bestimmte Punkte im Körper die sich für das Samyama eignen. Diese Methoden sich auf die Körperzentren auszurichten sind sehr hilfreich um ein tieferes Verständnis von sich selbst zu erreichen und aus seinem eigenen Potential zu schöpfen. Die Samyama Methode ist ein schrittweises eintauchen durch die Konzentration über den Zustand der Meditation bis hin zum Überbewusstsein bei dem man auf einen Punkt ausgerichtet bleibt.
Körper Samyama im Vibhuti Pada des Yoga Sutra
Patanjali Yoga Sutra, Vers 3.30
3.30 नाभिचक्रे कायव्यूहज्ञानम्
nābhicakre kāyavyūha-jñānam
nābhi = Nabel
cakre = Bewusstseinszentrum, Energiezentrum, Kreis, Rad
kāya = Leib, Körper, physischer Körper
vyūha = Anordnung, Verschiebung, Verrückung, Aufbau
jñānam = Wissen, kenntnis, Verständnis
“Samyama auf das Nabelzentrum bringt Wissen über den Aufbau des physischen Körpers.”
Meistens ist von den 7 Chakras die Rede, aber es gibt noch viele weitere, so gibt es zb zu den mittleren 5 Chakras der Wirbelsäule (“Hauptchakras”) entsprechungen auf der Vorderseite. gegenüber dem Manipurachakra befindet sich das Nabichakra etwa im Nabelbereich. Wenn wir unsere Konzentration darauf ausrichten bekommen wir ein inneres Wissen über die Struktur unseres physischen Körpers. Wir können also durch diese Samyama Übung genauer verstehen was unser Körper braucht bzw. was ihm fehlt. Auch ist es möglich den Aufbau des menschlichen Körpers durch diese Übung genauer zu verstehen, also im anatomischen Sinne. Es ist auch möglich nach etwas Übung das Samyama auf das Nabichakra eines anderen auszurichten und ihm ggf zu helfen körperliche Vorgänge besser zu vestehen. Also insgesamt eine sehr hilfreiche Übung für Heiler, die dadurch ihre Intuition stärken können um Patienten besser zu verstehen.
Patanjali Yoga Sutra, Vers 3.31
3.31 कन्ठकूपे क्षुत्पिपासा निवृत्तिः
kanṭha-kūpe kṣutpipāsā nivṛttiḥ
kaṇtha = Kehle, Hals
kūpa = Höhle, Grube, Brunnen, Loch
kṣudh = Hunger
pipāsā = Durst
nivṛttiḥ = Aufhören, Verschwinden, Enden
“Samyama auf die Kehlgrube beendet Hunger und Durst.”
Gegenüber dem Visshudhachakra in der Halswirbelsäule liegt Kanthakupa, die Kehlgrube. Patanjali sagt, dass Hunger und Durst bzw. die Gedanken daran verschwinden. Die Ausrichtung auf die Kehlgrube hilft die genannten Bedürfnisse loszulassen, sehr hilfreich beim Fasten und Diät halten. Sicherlich besteht hier ein Zusammenhang mit der Schilddrüse, die ja auch für den Metabolismus zuständig ist und etwa an der genannten Stelle liegt.
Patanjali Yoga Sutra, Vers 3.32
3.32 कूर्मनाड्यां स्थैर्यम्
kūrma-nāḍyāṁ sthairyam
kūrma = Schildkröte
nāḍyām = Energiekanal, Röhre, Kanal, Nerv
sthairyam = Festigkeit, Härte, Unbeweglichkeit, Stabilität
“Samyama auf Kurma-Nadi bringt Festigkeit.”
Es gibt unterschiedliche Lehrmeinungen darüber was sich hinter dem Begriff “Kurmanadi” verbirgt. Swami Vishnu-Devananda und Sukadev geben an es sei ein anderes Wort für die Sushumna Nadi, den Hauptenergiekanal zwischen Beckenboden und Schädeldach entlang der Wirbelsäule. Sriram, Iyengar und Swami Jnaneshwar sagen es sei ein Energiekanal zwischen der Unterseite der Kehle und dem Solarplexus bzw. ein Punkt genau zwischen beiden, Swami Hariharananda Aranya lokalisiert die Kurmanadi in der Bronchialröhre. Laut Iyengar ist die genaue lokalisierung des Kurmanadi sehr schwierig, da die Übertragung der Yogawissenschaft an dieser Stelle lückenhaft ist. Wie dem auch sei, die meditative Ausrichtung auf diese Nadi bringt körperliche und psychische Stabilität. Der Yogameister Desikachar sagt, dass sich viele unverarbeitete Emotionen als Gefühl im Brustbereich zeigen und eine entsprechende Konzentration hilft diese aufzulösen. Es macht also Sinn Krumanadi im Bereich des Brustkorbes zu lokalisieren, andererseits klingt es auch stimmig eine Stabilität zu erreichen durch Ausrichtung auf die Wirbelsäule.
Patanjali Yoga Sutra, Vers 3.33
3.33 मूर्धज्योतिषि सिद्धदर्शनम्
mūrdha-jyotiṣi siddha-darśanam
mūrdha = Scheitelpunkt, oberster Punkt im Körper
jyotiṣi = Licht, Helle
siddha = Vollkommener, Meister, heilige Person, Erleuchteter
darśanam = Sehend, sehen, Vision, Schau
“Samyama auf das Licht der Schädeldecke führt zu Visionen der Meister.”
oder
“Samyama auf den Scheitel lässt den Meister die wahrheit schauen.”
Das Kronenchakra (Sahasrara) ist unsere energetische Verbindung zum subtilen, astralen Bereich, wenn wir durch Konzentration dieses Zentrum stärken wird unsere feinstoffliche Wahrnehmung für Lichtvolle Wesen geöffnet. Die Gnade der Meister die vor uns den Weg zu Gott gegangen sind kann uns auf diese Weise konkret zu Teil werden. Wobei dieser Vers auch anders interpretiert werden kann, so wie oben vermerkt. Jemand der sich voll seiner Göttlichen Wirklichkeit bewusst ist kann sich auf diese absolute Wirklichkeit ausrichten bzw die Einheit sehen indem er Samyama auf die Schädeldecke übt.
Patanjali Yoga Sutra, Vers 3.34
3.34 प्रातिभाद्वा सर्वम्
prātibhād-vā sarvam
prātibhā = göttlich, intuitiv
vā = oder
sarvam = alles, ganz, jedes
Samyama auf das Göttliche bringt alles Wissen.
So wie alle vorherigen Verse im Yoga Sutra des Patanjali, kann auch dieser Vers sehr unterschiedlich interpretiert und übersetzt werden. Ich interpretiere ihn dahingehend, dass wir eine universelle Einsicht in die Wahrheit erlangen können, wenn wir uns auf das Göttliche in allem ausrichten. Wir bekommen Zugang zu unserer reinen und Göttlichen Intuition indem wir uns immer auf die Wahrheit und das Licht ausrichten, also indem wir uns für das Konstruktive entscheiden und im Vertrauen verweilen, dass alles einem Plan folgt.
Patanjali Yoga Sutra, Vers 3.35
3.35 ह्र्डये चित्तसंवित्
hrḍaye citta-saṁvit
hṛdaya = Herz
citta = Denken, Psyche, Verstand, Geist
saṁvit = Verstehen, Empfindung, Wahrnehmung,
“Samyama auf das Herzzentrum bring Erkenntnis über die Psyche.”
Ich glaube, dass diese Praxis von entscheidender Bedeutung ist, denn nur wenn wir uns selbst gut kennen, können wir unsere selbstgemachten Begrenzungen überwinden und frei werden. Die Konzentration auf das Herz ist eine ganz wichtige Praxis um die Limitierungen unserer Gedanken und Gefühle zu überwinden. Diese Methode ist auch hilfreich um andere Menschen zu verstehen, da wir auf diese Weise ein intuitives Gefühl für unser Gegenüber entwickeln können.
Soweit mein Kommentar zu den Versen 30-35 im 3. Kapitel des Yoga Sutra des Weisen Patanjali.