Mit dem Wort Tantra verbindet man bei uns im Westen eher ausgeklügelte Sextricks als eine uralte Lehre die zur Selbstverwirklichung führen soll. Im Beitrag geht es um die verschiedenen Bedeutungen des Begriffs.
Tantra ist verschiedenes
Das Tantra ist eine der beiden großen Strömungen des Hinduismus und war im Gegensatz zur vedischen Richtung, die eher elitär und schwer zugänglich war, eine Volksreligion die jedem ernsthaften Sucher offen stand.
Im Tantra wird die Welt als zunächst dual betrachtet, also es gibt (im Gegensatz zum Advaita Vedanta) die Trennung zwischen Shiva und Shakti, also zwischen dem transzendenten Bewusstsein und der manifesten Welt. Die Vereinigung dieser beiden Pole zum Monismus ist das Ziel des Tantra: die Verschmelzung des männlichen Aspektes Shiva (Subjekt) mit dem weiblichen Aspekt Shakti (Objekt) wird auch häufig als Sexualakt dargestellt und verstanden.
Was ist Tantra?
Mit dem Begriff sind traditionell verschiedene Aspekte gemeint die im Beitrag einzeln erläutert werden:
- Die Verehrung der Göttlichen Mutter als eigenständige Religion.
- Eine bestimmte Art klassischer Texte der Shaivas und Shaktas.
- Ein praktisches Übunssystem welches verschiedene Ansätze hat.
- Die Shiva- Shakti Philosophie der spirituellen Evolution
Das Wort setzt sich zusammen aus
- “Tan” -Ausdehnen
- “Trayate” -befreien
und es kann auch als „Gewebe, Kontinuum, Zusammenhang“ übersetzt werden.
Vortrag: Was ist Tantra?
“Tantra sagt, du kannst die Einheit nicht erreichen, wenn du mit der Dualität kämpfst. Du kannst einen nicht-dualen Punkt nicht erreichen, wenn du eine Seite im Kampf der Dualitäten wählst. Wenn du wählst, wirst du die Einheit nicht erlangen, nur durch unvoreingenommenes Zeuge-Sein.” Osho
Tantra hat vier Aspekte, transkribierter Vortrag
Wenn wir heutzutage den Begriff Tantra hören, dann sind damit ganz bestimmte Dinge damit verknüpft. Da denkt man als erstes an Sex. Aber traditionell geht es dabei um etwas ganz anderes. Es ist ein uralter Begriff aus Indien und damit sind eigentlich ganz andere Dinge gemeint, als man heute gemeinhin darunter versteht.
Es gibt in der Geschichte Indiens oder der Geschichte der indischen Spiritualität des Hinduismus zwei große Strömungen, zum einen die vedische Tradition, die sich auf die Texte der Veden bezieht und die eine elitäre Lehre ist, die nicht jedem zugänglich war, sondern die unter den Brahmanen unter den oberen Kasten geheim gehalten wurde und nur ansatzweise der großen Bevölkerung bekannt war. Das ist die vedische Tradition, die sich auf die Veden bezieht. Dann gibt es die tantrische Tradition, das ist eher eine Volksreligion oder ein Volksglauben. Das ist natürlich auch alles miteinander verwoben. Aber die tantrische Tradition war den einfachen Menschen eher zugänglich und obwohl es auch eine Geheimlehre ist, wurde nicht unterschieden zwischen Kasten, sondern da wurde geschaut, ob jemand bereit ist, dieses Wissen aufzunehmen, und derjenige konnte es bekommen.
Tantra ist viererlei
Man meint traditionellerweise mit dem Begriff Tantra vier verschiedene Dinge, zum einen ist Tantra eine eigenständige Religionsgemeinschaft. Und zwar in dem Sinne, dass dases im Gegensatz zu den anderen hinduistischen Religionsgemeinschaften die göttliche Mutter als höchstes Prinzip verehrt. Es gibt in Indien die beiden großen Strömung im Hinduismus, die Shaivas, das sind die, die Shiva verehren, und es sind die Vaishnavas, das sind die, die Vishnu in all den verschiedenen Aspekten verehren. Das sind die beiden großen Strömungen. Das dritte ist das Tantra oder das sind die Shaktas. Das sind die, die die Shakti, die Energie der göttlichen Mutter verehren, und das meint man auch mit dem Begriff. Jeder, der die göttliche Mutter als höchstes Prinzip verehrt, ist ein Tantriker oder jemand, der der Tantralehre folgt.
Tantras sind bestimmte Texte
Dann ist mit Tantra auch gemeint eine Art von klassischen Texten. Es gibt im Hinduismus eine ganze Fülle von verschiedenartigen traditionellen Texten. Ich habe die Veden erwähnt. Dann gibt es die Puranas, die Göttergeschichten, die Itihasas, die Geschichten über die großen Helden, wie z.B das Mahabharata-Epos, wo es um die Nachfahren des großen Königs Bharata geht. Dann gibt es noch die Smriti-Texte. Smriti-Texte sind Gesetzestexte, die für das tägliche Leben Empfehlungen geben. Und dann gibt es noch die Sutra-Texte. Sutra-Texte sind Leitfäden, die vor allem bestimmte philosophische Konzepte begründet haben, z.B. die Brahmasutras, die als Grundlagenwerk des Vedanta gelten. Dann gibt es die Agamas. Das sind Texte, die aus dem tantrischen Zusammenhang kommen, und diese Texte werden auch als “Tantras” bezeichnet. Jetzt haben wir schon zwei Sachen gehört, Tantra ist eine eigenständige Religion, und es sind bestimmte Texte.
Tantra ist ein Übungssystem
Des weiteren, und das ist das, womit was wir uns im Yoga heute beschäftigen, ist Tantra ein praktisches Übungssystem. Mit dem Wort meint man in ausgeklügeltes Übungssystem, das dazu führen soll, mit sich ins Reine zu kommen, um Energien zu erwecken, um die Erleuchtung zu finden. Bei diesem praktischen Übungssystem kann man verschiedene Richtungen unterscheiden. Traditionell unterscheidet man zwischen dem Tantra der rechten Hand und dem der linken Hand. Dazu muss man wissen, im Indien macht man alles Saubere mit der rechten Hand, also essen, Rituale ausführen, usw. Und mit der linken Hand macht man die schmutzigen Sachen, z.B. auf der Toilette. So gehören zum Linke-Hand-Tantra z.B. die sexuellen Praktiken und auch die schwarz magischen Praktiken. Das Tantra der rechten Hand, das sind die reinen, die klaren Praktiken. Eine andere Unterscheidung ist die zwischen weißem, schwarzem und rotem Tantra.
weißes Tantra
Das weiße Tantra ist das, was wir machen. Kundalini-Yoga-Praxis ist im Grunde genommen weißes Tantra. Bei diesem geht es darum, dass man mit einem ethisch-moralischen Anspruch daran arbeitet, sich selbst zu vervollkommnen, und zwar mit Hilfe von Energiepraktiken, dass man seine sieben Chakras zum Strahlen bringt, seine Aura zum Leuchten bringt und die Energiekanäle befreit, so dass das Prana frei fließen kann.
schwarzes Tantra
Dann gibt es das schwarze Tantra, das sind Menschen, die eher schwarz magische Praktiken ausüben. Das hat keinen ethisch-moralischen Anspruch. Da lernt man Mantras, wodurch man andere Menschen gefügig machen kann oder mit denen man ihnen sogar schaden kann. Es wird natürlich dringend empfohlen die Finger davonzulassen, denn das fällt alles immer auf einen selbst zurück, wenn man anderen schadet oder nichts Gutes wünscht, das kommt immer zu einem zurück. Daher dringend die Empfehlung, die Finger davonzulassen, zumal da wir ja durch das Yoga und durch die Meditation starke geistige Kräfte entfalten, und wenn wir dann diese Kräfte gegen jemanden richten, das bringt großen Schaden nicht nur für den anderen, sondern auch für uns selbst.
rotes Tantra
Dann gibt es das rote, die sexuellen Praktiken. Tatsächlich war das in Indien eine verschwindend geringe Minderheit, die sich mit diesen Dingen beschäftigt hat, denn dazu braucht es eine ganz strenge Disziplin. Bevor man von einem Meister oder einer Meisterin diese Praktiken kennenlernen durfte, musste man erst einmal jahrelang strenge Askese üben und eine große Disziplin aufbauen, weil diese sexuelle Kraft, die wir in uns haben, sehr stark ist, und diese zu bändigen und für spirituelles Wachstum zu benutzen, ist sehr komplex, erfordert sehr viel Disziplin und Kontrolle, und dafür brauchen wir längere Zeit der Enthaltsamkeit, um überhaupt fähig zu sein, diese Kraft wirklich zu transzendieren. Man sagt, man muss eigentlich so lange enthaltsam leben, dann man sich von diesem Bedürfnis nach sexueller Befriedigung schon einigermaßen unabhängig gemacht hat. Ein Lehrer von mir, ein Kundalini-Lehrer, Swami Atma, meinte, Sex habe mit Tantra ungefähr soviel zu tun wie Wein trinken mit der katholischen Kirche. Das gibt es auch, ist aber eben eine Nebensache. Yoga und Sex lassen sich nicht strickt trennen, da wir im Yoga alle Lebensbereiche anschauen und transzendieren. Aber es geht eher darum, die sexuelle Kraft konstruktiv zu nutzen, statt sie unkontrolliert auszuleben.
Tantra-Pilosophie
Das Vierte, was man unter dem Begriff versteht, ist ein philosophisches System oder ein philosophisches Konzept, und zwar wird die Shiva-Shakti-Philosophie auch als Tantra bezeichnet. Bei dieser geht es darum, dass man sagt, der Urgrund des Universums ist Shiva. Das, was wir im Vedanta als Brahman bezeichnen, wird in dieser tantrischen Philosophie als Shiva bezeichnet, das all durchdringende kosmische Bewusstsein, welches wie die Leinwand ist im Kino, die unberührt ist davon, ob jetzt ein Liebesfilm oder ein Actionfilm darauf gespielt wird. Shiva, das reine Bewusstsein, ist der Urgrund von allem, was ist, und Shakti ist alles das, was wahrnehmbar ist und alles, was veränderlich ist. Shiva und Shakti sind durch die Schöpfung getrennt, sagt diese Philosophie, und durch die tantrische Praxis bzw. Kundalini-Yoga können wir diese beiden elementaren Bestandteile des Universums wieder zusammenfügen. Shiva-Shakti-Philosophie hat zum Ziel, dass wir die Evolution beschleunigen, denn die Evolution wird, so sagt man, wieder dahin führen, dass Shiva und Shakti wieder zusammengefügt werden und, und das wird irgendwann passieren, aber durch die Kundalini-Yoga-Praxis bringen wir in uns Shiva und Shakti wieder zusammen, wir bringen das Erfahrbare und den Urgrund der Erfahrung wieder zusammen zu einer Einheit. Das ist in Kürze das, um was es in der Tantra-Philosophie geht, was man Shiva-Shakti-Philosophie nennt.
Jetzt haben wir vier Sachen: eine eigene Religionsgemeinschaft, eine bestimmte Art von Texten, ein praktisches Übungssystem und ein philosophisches Konzept. Das ist es also, was wir traditionellerweise unter dem Begriff verstehen.
“Tantra lehrt Achtung vor dem Körper, Liebe, Respekt für den Körper, Dankbarkeit für den Körper. Der Körper ist fantastisch, er ist das größte aller Geheimnisse.” Osho