Der Begriff “Heilige Kuh” ist in unserem Sprachgebraucht ein Synonym für etwas unantastbares, und so gilt tatsächlich auch im Hinduismus die heilige Kuh als unantastbar und sie steht unter besonderem Schutz. Im Artikel möchte ich einige Hintergründe und Erläuterungen dazu vermitteln.
Indien und die Heilige Kuh des Hinduismus
Wenn man Indien bereist ist der Strassenverkehr im Vergleich zu unserem geordneten System ein sehr auffälliges Phänomen. Alles fährt und läuft kreuz und quer ohne ein erkennbares System aber auch ohne große Zwischenfälle. In der Nordindischen Stadt Deradhun habe ich mal ein ca. 1qm groes Loch mitten auf einer stark befahrenen Kreuzung beobachtet, darunter war die Kanalisation zu sehen und es schaute eine rostige Eisenstange heraus. Alle Autos uns sonstige Fahrzeuge fuhren einfach um das Hindernis herum ohne sich irgendwie daran zu stören. Das wäre bei uns absolut unvoorstellbar.
“Ein Guru, ein Lehrer, ein Vater, eine Mutter, ein Brahmane, eine Kuh und ein Yogi sollten niemals getötet werden.” Manu Smriti 4.162
Als grobe Regel für die Strasse reicht es aus, sich grob auf der Linken Seite zu orientieren und immer nur so schnell zu sein, dass man zu keiner Zeit andere Verkehrsteilnehmer gefährdet. Neben Autos, Fußgängern, Transportern, Motorrädern und Bussen gibt es dann noch jede Menge anderer Teilnehmer am Verkehr wie z.B. Ochsenkarren, Handwagen, mobile Marktstände, Kamele und eben scheinbar herrenlose Tiere. Besonders auffällig ist: Immer wieder liegen völlig unbeirrt Kühe mitten auf der Strasse und der Verkehr fliesst um sie herum. Die Kühe stehen in Indien unter einem besondern Schutz, weshalb das so ist, möchte ich mit diesem Artikel klären.
Inmitten all dieser Unterschiede sehen wir einen Punkt der Einheit unter allen Hindus, und es ist, dass kein Hindu Rindfleisch frißt.” Swami Vivekananda
Andere Tiere sind auch Heilig
Auch andere Tiere gelten im Hinduismus als heilig, keines jedoch ist so besonders wie die Heilige Kuh. Viele Tiere werden mit bestimmten Göttern in Verbindung gebracht:
- Elefant (Ganesha)
- Affe (Hanuman)
- Pfau (Krishna)
- Adler (Vishnu)
- Tiger (Durga)
- …
Manche Tiere werden als sehr schmutzig betrachtet, vor allem Hunde und Schweine.
“Wenn mich jemand fragen würde, was die wichtigste äußere Manifestation des Hinduismus sei, würde ich vorschlagen, dass es die Idee des Kuhschutzes ist.” Mahatma Gandhi
Zahlen und Fakten zur Heiligen Kuh
In Indien leben geschätzte 200 Millionen Kühe und 100 Millionen Wasserbüffel. Der Export von Rindfleisch aus Indien hat inzwischen ein Volumen von über 4 Milliarden Dollar, Indien ist inzwischen der größte Exporteur von Rindfleisch weltweit geworden, 2015 wurde mit 2,4 Millionen Tonnen sogar Brasilien überholt. Dies obwohl derzeit die Hindunationalisten an der Macht sind, oder gerade wegen deren neuer Wirtschaftspolitik. Mit Milchprodukten werden in Indien über 60 Milliarden Dollar umgesetzt, Tendenz steigend. Indiens Kühe erzeugen etwa ein Fünftel der weltweiten Milchprodukte, sie werden hauptsächlich vor Ort konsumiert. Die Zahl illegaler Kuhschlachtungen nimmt leider stetig zu in Indien, arme Menschen entführen in ihrer Verzweiflung Kühe von der Strasse um sie an illegale Netzwerke zu verhökern. Übrigens ist der prokopf Verbrauch von Fleisch in Indien der niedrigste Weltweit, er iegt bei 5,5 kg pro Person (2014), zum Vergleich: in Deutschland lag er 2007 bei 87 kg.
„Jener der das Schlachten der Tiere erlaubt, der es aufschneidet, der es tötet, der Fleisch kauft oder verkauft, der es kocht, der es serviert und der es isst- sie müssen alle als Schlächter der Tiere betrachtet werden.“ Manu Smriti 5.51
Warum ist die Heilige Kuh in Indien so besonders?
“Die Kühe sind angekommen und haben Glück gebracht.”6.28.1. Rig Veda
Zur Zeit der vedischen Periode in Indiens Geschichte stand der Ritualismus im Vordergrund des sozialen und spirituellen Lebens. Es wurden seinerzeit auch Ochsen und Bullen rituell den Göttern geopfert und das Fleisch wurde zum Teil anschliessend konsumiert.
„Alle Götter fördern den Priester der den Bullen im Ritual opfert.“ Atharva Veda 9.4.18
Es galt zwar das Fleischessen als unrein und verboten, aber bei geopfertem machte man Ausnahmen.
„Und dieses (Opferfleisch) ist tatsächlich die beste Nahrung, er wird also zum Esser der besten Nahrung!“ Satapatha Brahmana 11.7.1.3.
Kontroverse über die Heilige Kuh
Im Laufe der Zeit hat sich dies gewandelt, womöglich durch den Einfluss der strikt vegetarischen Jainas oder durch praktische Gründe, denn es war sehr teuer auf die Produkte der lebenden Kühe zu verzichten. Vor allem dann durch den aufkommenen Kult um Sri Krishna zur Zeit der Puranas (ca. ab Beginn unserer Zeitrechnung) wurde die Kuh zur Heiligen Kuh, denn Kirishna war Kuhhirte und ehrte sie besonders.
„Du wirst überrascht sein zu hören, dass man nach den alten Hindu Riten und Ritualen kein guter Hindu sein konnte wenn man kein Rindfleisch aß.“ Swami Vivekananda
Wie gesagt hat sich das dann im Laufe der Zeit verändert, hier ein Zitat aus dem 6.Jhd.
„Ich lehne Brahmanen ab die der Gewalt nachgeben und im Opferritual Tiere töten, zweifelsohne habe ich weder Respekt noch Hingabe für diese Mörder.“ Skanda Purana 3.2.36.62
Um die Befreiung vom Leiden zu erlangen müssen wir so leben, das andere nicht unter uns leiden:
«Wie soll es jemanden, der Fleisch isst, und selbst wenn es sich um einen Brahmana handelt, möglich sein, erhoben zu werden oder Befreiung zu erlangen?» Padma Purana 1.13.321
Historische Bedeutung der heiligen Kuh
Die muslimischen Mächte wussten bei ihren Eroberungen Indiens um die Heiligkeit der Kuh bei den Hindus. So trieben die Armeen der Mugul-Herrscher immer Kühe vor ihren Armeen her um die Kraft der hinduistischen Verteidiger zu schwächen. Die Hinduistischen Armeen durften den Kühen nichts antuen und wurden so leichter durch die Mogulenarmeen überrollt.
1857 kam es zu einer gemeinsamen Rebellion von muslimischen und hinduistischen Soldaten gegen die Englischen Besatzer. Grund war die Feststellung der Zusammensetzung des Schmieröls für die Gewehre: es bestand aus Scheine- und Rinderfett.
Panchagavya – 5 Produkte der heiligen Kuh
- Milch – Milch gilt kassischer Weise als sattwigstes (reinstes) Nahrungsmittel, wobei das natürlich auf die heutzutage in Massentierhaltung produzierte Milch kaum noch zutrifft
- Joghurt
- Ghee – geklärte Butter ist sehr lange haltbar und gilt in der Ayurveda Medizin als äusserst gesund
- Urin – wird auch als Medizin eingesetzt (auch bei uns, z.B. Urea-Salbe)
- Dung – wird getrocknet zum verfeuern und putzen benutzt, vor allem auch für Feuerrituale
Namen für die heilige Kuh
Bereits der im vedischen Zusammenhang verwendete Sanskrit Name für die Kuh ist ein deutlicher Hinweis auf den Status: aghnya bedeutet “die Unantastbare”. In den Veden tauchen auch die Namen ahi “nicht zu töten” und aditi “nie in stücke zu schneiden” auf. Das Wort Dhenu wird für Milchkühe verwendet, anaduh für den Stier. Der meist verwendete Name ist Go, ethymologisch mit “Cow” verwandt, auch der Name Gomata wird gerne verwendet was bedeutet “Mutter Kuh”. Zu den wichtigsten Namen der indischen Gottesinkarnation Sri Krishna gehören Govinda und Gopala was bedeutet: “Herr und Beschützer der Kuh”.
Besondere Heilige Kuh
Kamadhenu, Kamadhuk oder Surabhi ist der Name der mythologischen Kuh die alle Wünsche erfüllt. Sie ist entstanden als ein Produkt aus dem Quirlen des Milchozeans und sie wird vom Maharishi Vasishta odar manchmal auch von Jamadagni und Dattatreya behütet. Sie taucht vor allem in Puranas und Itihasas auf, in den Veden wird sie nicht erwähnt. In der Bhagavad Gita wird sie im Vers 3.10 erwähnt:
„Der Schöpfer, der zu Beginn die Menschheit gemeinsam mit dem Opfer geschaffen hat, sagte: „Dadurch möget ihr euch fortpflanzen; lasst dies die Milchkuh eurer Wünsche sein.“