Purnam bedeutet “Fülle” und das ist Thema des vedischen Mantras. Das Purnamadah Mantra gilt als die kürzeste Essenz der Veden und Zusammenfassung der Lehre aus den Upanishaden, es wird gerne als das perfekte Gebet bezeichnet. Tatsächlich ist es sehr tiefgründig und ein wunderbares Objekt der Kontemplation.
Oṁ pūrṇam adaḥ
Zum Verstehen des Mantras zunächst ein kleines Gleichnis:
Wen man aus dem Ozean eine Schüssel mit Wasser füllt, so ist die Schüssel einerseits zwar voll, aber der Ozean bleibt es ebenso. Also die absolute Fülle des Ozeans bleibt unangetastet, wenn man die Fülle der Schüssel entnimmt. Fülle bleibt Fülle, auch wenn man daraus eine weitere Fülle erzeugt. Ebenso kann man von einem Punkt Linien in alle Richtungen ziehen, die dann allesamt unendlich sind. Die beiden Begriffe adaḥ und idaṁ spielen für die Lehre der Upanishaden eine große Rolle, es ist “adaḥ” das absolute Bewusstsein Brahman und “idaṁ” die relative Perspektive der bedingten Welt. Beide haben die Eigenschaften von Fülle und sie sind eben tatsächlich eins, die Begründung wird im Purnamadah Mantra präzise erläutert.
ॐ पूर्णमदः पूर्णमिदं पूर्णात्पुर्णमुदच्यते
पूर्णश्य पूर्णमादाय पूर्णमेवावशिष्यते
ॐ शान्तिः शान्तिः शान्तिः
Oṁ pūrṇam adaḥ pūrṇam idaṁ pūrṇāt pūrṇam udacyate.
Pūrṇasya pūrṇam ādāya pūrṇam evāvaśiṣyate.
Oṁ. Śāntiḥ śāntiḥ śāntiḥ.
Das Mantra lässt sich sehr verschieden übersetzen:
“Jenes ist Fülle, dieses ist Fülle, aus der Fülle kommt die Fülle hervor. Nimmt man von der Fülle die Fülle, bleibt die Fülle übrig.”
“Dort ist Ganzheit, ich bin Ganzheit. Aus der Ganzheit wird die Ganzheit. Trennt man Ganzheit von der Ganzheit verbleibt die Ganzheit.”
Wobei meine philosophische Übersetzung die tiefe Bedeutung womöglich etwas klarer macht:
“Dieses relative Universum als mein Erfahrungshorizont ist Perfekt/Ewig/Fülle. Jenes absolute, göttliche, allesumfassende Gewahrsein ist Perfekt/Ewig/Fülle. Das Eine bedingt das Andere. Beides ist nicht voneinander zutrennen, da beides Perfekt/Ewig/Fülle ist.”
Prabhupada, der Gründer der Hare Krishnas, übersetzt das Mantra sehr schön:
„Oṁ. Die Persönlichkeit Gottes ist perfekt und vollkommen. Da sie vollkommen perfekt ist, sind auch ihre sämtlichen Emanationen wie diese phänomenale Welt perfekt als Vollkommenes Ganzes geschaffen worden. Was immer vom Vollständigen Ganzen abgesondert wird ist in sich vollständig. Da die Persönlichkeit Gottes ein Vollständiges Ganzes ist, bleibt sie selbst nach Absonderung all dieser vollständigen Teile in perfektem Gleichgewicht.“
Die ursprüngliche Quelle dieses Mantra ist Śatapatha Brāhmaṇa 14.8.1.1 im Śukla Yajur Veda, aber auch in der Brihadaranyaka Upanishade 5.1.1 wird dieser Vers benannt. Dieses Mantra wird als sogenanntes “Shanti Mantra” den beiden Upanishaden Brihadaranyaka und Ishavasya vorgestellt und spielt auch daher eine wichtige Rolle in der indischen Philosophie.
Wort für Wort Übersetzung des Oṁ pūrṇam adaḥ
- Oṁ = kosmischer Urklang, siehe Artikel über das Om
- pūrṇam = voll, ganz, Fülle, Eins, perfekt, unendlich, komplett, vollständig, Ganzheit, Realität, ewig, unendlich, erfüllt,… – das Wort taucht im Mantra unterschiedlich konjugiert auf
- adaḥ = jenes, das, Jenseitig
- idaṁ = dieses, dies, Diesseitig
- udacyate = heraus kommend, Produkt von, Ergebnis, es erhebt sich, kommt hervor
- ādāya = genommen habend, davon genommen
- eva = betont das vorhergehende Wort
- ava-śiṣyate = wird übrig gelassen, verbleibend
- śāntiḥ = Frieden, Ruhe
Osho sagt zu zu dem Mantra:
“Dieses Mantra ist eine der bedeutendsten Aussagen die jemals irgendwo auf der Erde gemacht wurden. Das Mantra enthält das ganze Geheimnis des mystischen Zugangs zum Leben. Dieses kleine Mantra enthält das Wesen der upanishadischen Vision.”
Swami Dayananda sagt in seiner Analyse zum Purnamadah Mantra:
“Ich bin Purnam, Vollständigkeit, ein Ozean der Fülle welcher durch nichts gestört oder begrenzt wird. Wellen scheinen auf meine Oberfläche zu Tanzen , sie sind aber bloß Erscheinungsformen von mir. Ich manifestiere mich nur kurz darin, weder stören noch beschränken sie mich. Sie sind meine Herrlichkeit, es offenbart sich meine Fülle in Form der Welle. Es scheinen viele verschiedene zu sein , jedoch sind sie bloße Erscheinungen in mir, sie begrenzen mich nicht. Ihre Bewegung offenbart nur meine Fülle die sich als Bewegung meiner Herrlichkeit manifestiert die sich wieder in mir auflöst. In mir, dem Ozean der Fülle löst sich alles wieder auf, ich die Fülle- Purnam allein bleibt übrig.”
Interessant ist auch diese Betrachtung:
“Dies ist Eins, das ist Eins, aus der Eins kommt die Eins, nimmt man Eins von der Eins verbleibt die Eins.”
Also mathematisch gesehen wird daraus: 1-1=1 aber da stimmt was nicht. Denk mal drüber nach!
- Sicherlich in diesem Zusammenhang interessant ist dieser Artikel über die Topf-Ton Problematik.
- Hier die Ishavasya Upanishade welche mit dem Purnamadah Mantra verbunden ist
Disclaimer: Meine Firma heißt PURNAM 🙂