Subtiles Samyama: Mit diesen Versen beginnt Patanjali nun die Samyama Techniken im Einzelnen vorzustellen, kurz gesagt geht es darum, dass man durch Ausrichtung des Geistes bestimmte Fähigkeiten und Erkenntnisse bekommen kann. Es gibt dabei drei verschiedene Stufen, je nachdem wie tief man praktiziert: Dharana, Dhyana und Samadhi.

Vivekananda und Mahashiva
Es sollten vor der Lektüre dieser Verse mindestens die Ausführungen in den Versen über die Antaranga genannten inneren Glieder in Patanjalis System gelesen werden, sowie die Beschreibung der Samyama Methodik in den Versen 4-6 des Vibhuti Pada genannten 3. Kapitels des Yoga Sutra. Selbstverständlich braucht es eine Schulung des Geistes um diese Methoden tatsächlich für sich umzusetzen, die essentielle Grundlage für die Praxis des Raja Yoga und diese Samyama Techniken im besonderen sind zwingend die Yamas und Niyamas, die Empfehlungen für Ethik und Moral. Die Arbeit mit den Yamas und Niyamas schafft die nötige Klarheit und Rechtschaffenheit um mit diesen geistigen Kräften auf harmonische Weise umzugehen.
Vers 3.16, Patanjali Yoga Sutra
3.16 परिणामत्रयसंयमाततीतानागत ज्ञानम्
pariṇāmatraya-saṁyamāt-atītānāgata jñānam
pariṇāma = Wandel, Entwicklung, Veränderung, Umwandlung
traya = dreifach, dreigeteilt, drei
saṁyamāt = Sammlung, Versenkung,
atīta = vergangen, früher
anāgata = künftig, noch nicht angekommen
jñānam = Wissen, Erkennen
“Sammlung auf die Veränderungen in Form, Zeit und Zustand gibt Wissen über Vergangenheit und Zukunft.”
oder
“Mit Versenkung auf die drei Umwandlungen entsteht wissen über vergangenes und künftiges.”
Hier beginnt also nun Patanjali mit den konkreten Samyama Techniken, also dem Ausrichten des Geistes auf ein Objekt, welches dann je nach Grad der Ausrichung tiefere Wirkungen entfalten kann. Hier sagt er, dass wir tiefes Wissen über ein Objekt erreichen können indem wir es beobachten, bzw. uns darauf konzentrieren, darüber Meditieren oder es im überbewussten Zustand fokussieren, also drei Stufen von Samyama. Wenn wir also nicht mehr Werten und Urteilen kann intitives Wissen kommen. Wenn wir nun Samyama auf ein Objekt machen und die drei Umwandlungen wahrnehmen, können wir intuitiv Rückschlüsse aus der vergangenheit und der Zukunft ziehen. Hiermit ist gemeint, dass wir durch nichtwertende Wahrnehmung mehr erfassen können als durch den persönlich gefärbten Blick.
Vers 3.17, Patanjali Yoga Sutra
3.17 शब्दार्थप्रत्ययामामितरेतराध्यासात्संकरः तत्प्रविभागसंयमात् सर्वभूतरुतज्ञानम्
śabdārtha-pratyayāmām-itaretarādhyāsāt-saṁkaraḥ tat-pravibhāga-saṁyamāt sarvabhūta-ruta-jñānam
śabda = Wort, Klang, Geräusch, Ton
artha = Ziel, Zweck, Grund, Sache, Objekt
pratyayāna = Gedanke, Wahrnehmung, Vorstellung, Begriff
itaretarā = einer dem anderen, gegenseitig
adhyāsa = basieren aufeinander, Aufsetzen, Aufstellen
saṁkara = Vermengung, Vermischung, Verwirrung
tat = dann
pravibhāga = Trennung, Teilung, Auflösung, Differenzierung
saṁyamāt = Konzentration, Versenkung, Fesselung, Zusammenbinden
sarva = ganz, alle
bhūta = Wesen, Lebewesen, werden, sein, gewesen sein
ruta = Klang, Ton, Ton, Gesang, Schrei, Ausdrucksform
jñāna = Wissen, Erkenntnis
“Klang, Objekt und das Konzept über die Betrachtung beeinflussen und vermischen sich beim Betrachter. Durch Samyama auf einzelne Teile kommt die Erkenntnis der Töne aller Wesen.”
oder
“Worte, Objekte und Ideen überlagern und verwirren, durch Samyama bekommt man Wissen über die Sprache aller Lebewesen.”
Unser Geist wird also normalerweise getrübt durch die Vermischung von Informationen die durch die Sinne aufgenommen werden, also Klang, Objekt und Ideen werden durch unseren individuellen Filter verzerrt. Logisch soweit, denn jeder Mensch sieht die Welt mit seinen Augen und interpretiert die Dinge auf seine Weise. Aber, so Patanjali, wir können durch subtiles Samyama auf unseren Wahrnehmungsprozess ein objektives Erfassen der Wirklichkeit erreichen und dadurch den Klang anderer Wesen direkt verstehen. Viele spirituelle Traditionen sprechen davon, dass die Welt aus Klang besteht, bzw. das wir durch ein exaktes Erfassen des Klanges zu einem tieferen Verstehen der subtilen Ebenen kommen können. Und so können wir durch die Trennung des Prozesses: Klangwahrnehmung-Objektassoziation-Konzept unser Bewusstsein erweitern und die Wahrnehmung ausdehnen.
Vers 3.18, Patanjali Yoga Sutra
3.18 संस्कारसाक्षात्करणात् पूर्वजातिज्ञानम्
saṁskāra-sākṣātkaraṇāt pūrva-jāti-jñānam
saṁskāra = Eindrücke, Zubereitung, Reinigung, Zusammenfügen
sākṣātkaraṇāt = Schauen, Sehen, direkte Erfahrung
pūrva-jāti = frühere Geburt, Vorleben
jñānam = Wissen, Erkenntnis
“Durch Wahrnehmung unserer Prägungen entsteht Erkenntnis über frühere Leben.”
oder
“Durch die Betrachtung der tiefsitzenden Programmierungen wird man sich früherer Geburten gewahr.”
In der Regel ist es tatsächlich nicht empfehlenswert zu versuchen, sich mit speziellen Methoden aus touristischen Motiven an frühere Leben zu erinnern. Denn schließlich haben wir mit unseren Traumata und Themen in diesem Leben schon Weißgott genug zu tun. Aber wenn wir uns in tiefer Versenkung auf die Ursprünge der Gedankenwellen ausrichten, können wir Erkenntnisse über frühere Leben bekommen. Dann sind wir allerdings schon so tief in der Meditationspraxis verankert, dass durch das erlangte Wissen keine neuen Probleme auftauchen, da wir trainiert darin sind, unsere Gedanken und Erinnerungen zu beobachten. Wir können diese Methode je nach Art des Samyama, also je nach Tiefe der Praxis, sehr unterschiedlich sehen. Wenn wir Dharana auf die Samskaras üben, werden wir ein paar Einsichten in die Vergangenheit bekommen, also wenn wir unsere Gedanken konzentriert beobachten, werden wir verstehen können, weshalb sie sind wie sie sind. Wenn wir jedoch im Samadhi die Gedankenwellen betrachten, werden wir wesentlich klarer und tiefer in die Vergangenheit blicken können.
Soweit mein Kommentar zu den Versen 16-18 des Vibhuti-Pada im Yoga Sutra des Patanjali.