Die Lehre des Advaita Vedanta ist paradox. Es geht ja letztlich darum “das Absolute” zu beschreiben, um sich von den relativen und illusorischen Konzepten zu lösen und die Augen zu öffnen für das was tatsächlich wahr ist, jedoch kann kein Wort oder Konzept beschreiben was das Absolute ist, da jedes beschreibende Wort es zugleich begrenzen würde. Dennoch benötigen wir auf dem Weg zur Erkenntnis Worte und Konzepte um sukzessive voran zu schreiten und die Perspektive vom Relativen zum Absoluten zu erheben. Ein Mittel um tiefer in die Lehre einzutauchen ist die Arbeit mit Metaphern und Gleichnissen, und da gibt es eine ganze Reihe von in den verschiedenen spirituellen Lehren. Im Advaita Vedanta ist sicher das Topf-Ton Gleichnis sehr bekannt und hilfreich, daher möchte ich dieses hier gerne im Detail vorstellen.
Satyam & Mithya – Topf-Ton Problematik
Wahrheit und Schein, Satyam und Mithya sind entscheidende Begriffe zum Verständnis der Advaita Vedanta Lehre, und es geht darum genau zu unterscheiden: was ist wirklich und dauerhaft sowie andererseits was ist unwirklich und vergänglich.
Zunächst eine kurze Analyse der beiden Begriffe, die sich sehr vielfältig übersetzen lassen:
- Mithya सत्य: täuschend, unrichtig, verkehrt, fälschlich, falsch, unwahr, lügnerisch, unwirklich, scheinbar; ohne wahren Zweck, vergebens.
- Satyam मिथ्या: wirklich, wahr, wirksam, wahrhaft, echt, gültig, zutreffend, eintreffend, von Erfolg begleitet, in Erfüllung gehend, zuverlässig.
Diese beiden Begriffe findet man auch in Adi Shankaracharyas zentralem Lehrsatz, hier mit der lyrischen Übersetzung von Paull Deussen:
„brahma satyam jagan mithya jivo brahmaiva naparah” – „In drei Sätzen sei es verkündet, was man in Tausend Büchern findet: Brahman ist wirklich. Die Welt ist Schein, Das Selbst ist nichts als Brahman allein.“
Es geht darum, dass es einerseits eine absolute Perspektive auf die Wirklichkeit gibt bei der alles eins ist, also keine Trennung da ist zwischen mir und der Welt die ich beobachte. Andererseits gibt es die relative und gewöhnliche Perspektive getrennt zu sein von den Objekten die durch das Subjekt erfahren werden. Die absolute Perspektive ist Satyam – wahr und die relative Perspektive ist Mithya – unwahr, also die Art wie wir die Welt gewöhnlich betrachten ist durch die Unwissenheit falsch, entscheidend ist ein Wechsel der Perspektive zur holistischen Sicht der Einheit. Im Topf-Ton Gleichnis wird diese Lehre geneuer analysiert.
Quelle der Topf-Ton Problematik
Zunächst Mal ist die wohl älteste Quelle der Topf-Ton Problematik in den älteren Upanishaden zu finden, nämlich in der Chandogya Upanishade, Vers 6.1.4.
„Gleichwie, o Teurer, durch einen Tonklumpen alles, was aus Ton besteht, erkannt ist, an Worte sich klammernd ist die Umwandlung, ein bloßer Name, Ton nur ist es in Wahrheit.”
Also Name und Form sind veränderlich, was bleibt ist die Substanz. Ob wir aus dem Ton einen Topf oder einen Klumpen bilden, es bleibt immer Ton. Ton ist Satya, Topf ist Mithya.
Paul Deussen sagt zu diesem Abschnitt:
“Es ist dies die älteste Stelle, in der die Nichtrealität der vielheitlichen Welt ausgesprochen wird.”
In der Brahmabindu Upanishade 13&14 wird dann das Bild des Topfes (Krug) noch um den Raum erweitert:
“Wie der Raum, den der Krug einschließt,
Denn wenn der Krug zerbrochen wird,
Bricht nur der Krug, der Raum bricht nicht,
Das Leben ist dem Kruge gleich.
Alle Formen dem Krug gleich sind:
Unaufhörlich zerbrechen sie;
Wenn dahin, sind sie nichtwissend,
Doch er ist wissend ewiglich.”
Also wenn ein Topf zerbricht bleibt der Raum davon unberührt, ebenso bleibt das reine Bewusstsein von allen Erfahrungen unberührt, und unser wahres selbst ist dieses bewusste Sein. Ich bin das wahre Selbst, die Substanz aus der das Universum besteht, da alles in diesem einen Bewusstsein entsteht, existiert und vergeht. Name und Form sind veränderlich, der Beobachter bleibt immer konstant. Auf diese Idee spielt dann auch die Ashtavakra Gita im 6.Gesang an:
“Ich bin grenzenlos wie der Raum, während die Welt wie ein Topf ist. Dies ist Erkenntnis, wahrhaft und sicher. Da ist kein Gewinnen, kein Verlieren, kein Vergehen.”
Shankrara über Satyam und Mithya
Jedoch führt dann erst Shankara das Gleichnis vom Topf und Ton umfassend ein und erläutert es in mehreren seiner Texte. Entscheidnd ist, dass der Topf nicht ohne Ton sein kann, aber der Ton sehr wohl existiert ohne den Topf. Also Name und Form sind veränderlich, so wie man aus einem Tonklumpen einen Topf oder einen Teller fertigen kann, damit sind sie Mithya. Wohingegen der Ton die Grundlage der Existenz von Topf und Teller ist, unabhängig von name und Form. Ebenso die absolute Wahrheit, die Einheit des Bewusstseins Brahman: sie ist immer existent und wahr, unabhängig von den Ereignissen, also Satyam.
Satyam ist alles, was unabhängig von etwas anderem existiert, wohingegen Mithya per definition alles ist, was in seiner Existenz abhängig ist von etwas anderem. Also der Ton ist einfach existent, unabhängig ob er die Gestalt eines Klumpen, eines Tellers oder eben eines Topfes annimmt, er ist also Satyam. Der Topf hingegen ist nur durch die Form definiert und in seiner Existenz vom Ton abhängig, es hat keine unabhängige Existenz an sich.
Shankara erläutert dieses wunderbar in seinen Haupttexten, so sagt er im Atma Bodha, Vers 48:
“Nichts außer dem Atman existiert: das materielle Universum ist wahrlich Atman. So wie Töpfe und Krüge wahrlich aus Ton gemacht werden und nicht gesagt werden kann, dass sie etwas anderes als Ton sind; so ist auch für die erleuchteten Seele alles Wahrgenommene das Selbst.”
Also der Atman ist Satyam und alles wahrgenommene ist Mithya. Das große Dilemma in dem wir uns befinden ist, dass wir glauben die Welt der Erscheinungen (Mithya) sei wahr, jedoch ist nur das absolute und alldurchdringende Bewusstsein wahr (Satyam). Durch unsere Unwissenheit können wir Satyam nicht erkennen, so sagt Shankara auch im Aparoksha Anubhuti, Vers 60.
“Auf dieselbe Weise, wie wir dem Ton den Namen „Topf“, dem Gold den Namen „Armreif“ geben und das Silber mit Perlmutt verwechseln, so wird Brahman mit dem individuellen Selbst verwechselt und diesem zugeschrieben.”
Im selben Text, dem Aparoksha Anubhuti wurd Shankara im Vers 66 noch etwas deutlicher: Topf ist Name und Form, Ton ist Grundlage dessen. Topf ist die Wirkung, Ton die Ursache:
“Dieselbe Beziehung von Ursache und Wirkung, die zwischen dem Ton und den Töpfen existiert, existiert auch zwischen Brahman und dem phänomenalen Universum. Diese Beziehung, die ausschließlich nur aus Namen und Formen besteht, wurde als solche in den heiligen Schriften, den Veden, durch vernünftige Schlussfolgerung festgestellt.”
Und weiter im nächsten Vers 67 sagt er, dass uns das Reflektieren darüber zur höchsten Erkenntnis führt:
“So wie wir uns in unserem Verstand des Tons bewusst werden, wenn wir über den Topf nachdenken, so werden wir uns des Gedankens des stets leuchtenden Brahmans bewusst, wenn wir gründlich über die vergängliche Natur dieses Universums nachdenken.”
Neben dem Atma Bodha und dem Aparoksha Anubhuti erwähnt Shankara das Gleichnis von Topf & Ton auch in seinem Viveka Chudamani, hier in Vers 229:
“Niemand bestreitet, dass die Essenz eines Topfes vom Ton verschieden ist, daher ist der Topf nicht nur eingebildet jedoch nur der Ton ist die zugrundeliegende Wirklichkeit.”
Im Panchadasi des Vidyaranya im Sutra 48 steht über das höchste Wissen, also die Kenntnis von Brahman:
gemäß der Lehre des Advaita Vedanta schenkt solches Wissen Befreiung, das höchste Ziel des Lebens. Weil das Substrat, der Ton, nicht zurückgewiesen wird, wird das erscheinen Eines Topfes darin akzeptiert.”
Hier noch die wunderbaren Worte des großen gelehrten Rafael im Vorwort zu seinem Drik Drishya Viveka Kommentar:
“Wenn wir einen Klumpen Ton nehmen und daraus eine Vase formen und sich diese Vase eines Tages ihrer selbst bewußt wird, wird sie sagen: Ich bin eine Vase. Wenn wir dann die Vase wieder zunichte machen, den Ton neu kneten und zu einer Statue verarbeiten und sich auch diese eines Tages ihrer selbst bewußt wird, wird sie sagen: Ich bin eine Statue. Wenn wir die Statue wiederum vernichten und den Ton, der zuerst eine Vase, dann eine Statue bildete, neu zu einer schönen Pyramide modellieren, so wird diese sagen, wenn sie sich ihrer selbst bewußt wird: Ich bin eine Pyramide. Wenn sich nun aber die Vase, die Statue und die Pyramide – durch bestimmte Formen gekennzeichnete zeitlich-räumliche Konstruktionen – ihres unbewußten ursprünglichen, existentiellen Substrats wirklich bewußt werden könnten, dann würden sie sagen: Ich bin nicht näher bestimmter, einheitlicher Ton, der einmal die Gestalt einer Vase, dann einer Statue und dann einer Pyramide annimmt.”
Du bist das “Bewusste Sein” und nicht die Person: Ton, nicht Topf.
Hier noch Swami Dayanandaji über Satyam und Mithya
“Es ist die materielle Ursache, die die Wirkung aufrechterhält. Lehm ist die materielle Ursache für den Topf. Der Topf ist aus Ton entstanden, und wenn er zerbrochen, zerstört wird, wird er wieder zu Ton. Auch wenn er ein Topf ist, ist er nichts anderes als Ton. Der Topf kann sich nicht vom Ton trennen. Das Gewicht, die Konsistenz und die Farbe des Topfes gehören nur zum Ton. Ohne den Ton hat der Topf keine eigene Existenz. Daher wird der Topf durch den Ton, die materielle Ursache, aufrechterhalten. Der Topf muss nicht zerstört werden, um zu wissen, dass er aus Ton besteht. Der Ton kann weiter in etwas und schließlich in Teilchen zerlegt werden. Teilchen sind bloße Konzepte, und sie existieren als Objekte des Verstehens. Jedes Objekt der Erkenntnis, sei es durch Wahrnehmung, Schlussfolgerung oder Vermutung, sei es der Topf, der Ton oder das Teilchen, ist nichts anderes als Bewusstsein. So wie der Topf auf Ton reduziert werden kann, so kann jedes Objekt auf etwas anderes reduziert werden, ohne das es nicht existieren kann. Alles, was auf etwas anderes reduziert werden kann, ist nur ein Wort, das auf der Zunge liegt. Das, worauf alles reduziert werden kann, ist die ultimative Realität, und das allein hält alles aufrecht. Da Ōm der Name von Brahman ist, kommt alles von Ōm, wird von Ōm erhalten und geht zu Ōm zurück. Daher ist es Ōm, der alles erhält und schützt.”