Erleuchtung ist Gnade, keine Handlung führt zum Ziel.
Es gibt unglaublich viele spirituelle Methoden und Empfehlungen die uns helfen sollen auf dem Weg zur Erleuchtung voran zu schreiten, jedoch kann uns keine davon befreien.
Tatsächlich können wir nichts tun, um im spirituellen Sinne frei zu werden, da jede bewusste Handlung mit einer Intention verknüpft ist und daher aus einer Identifikation mit dem Ego stammt. Aber dennoch bedeutet dies nicht, dass wir nichts zu tun brauchen, denn spirituelle Praxis öffnet und für die Göttliche Gnade, bzw. löst unsere Identifikationen und lässt geschehen was geschehen soll. Klingt kompliziert, ist es auch. Aber es ist wichtig sich mit dieser Thematik zu befassen denn jede Anstrengung zur Erleuchtung zu kommen ist vergebens, wenn wir nicht zugleich loslassen.
Im spontanen Vortrag aus einem Satsang einige Gedanken zu dieser Thematik.
Vortrag: Erleuchtung ist Gnade, Anstrengung vergebens.
Erleuchtung ist Gnade
hier die Transkription meines Vortrages:
Krishnamurti war ein großer Lehrer des 20. Jahrhunderts. In den Büchern, die er geschrieben hat, geht es vor allem darum, dass er alle Konzepte, alle Wege, alle Methoden, letztlich alle Religionen infrage stellt und aufzeigt, dass es eigentlich keinen konkreten Weg geben kann, um das Ziel des Yoga zu erreichen. Von ihm stammt auch ein sehr schönes Zitat, das ich immer wieder gerne benutze:
„Du kannst nichts tun, um das höchste Ziel zu erreichen, aber wenn du nichts tust, wirst du es nicht erreichen.“
Warum strengen wir uns so an, warum machen wir diese komplexen Übungen im Yoga und verwenden so viel Zeit auf die ganze Praxis, wenn doch keine Methode letztlich zum Ziel führen kann? Es geht im Yoga darum, dass wir unser wahres Selbst erkennen, unser wahres Selbst, das wir ja bereits sind.
Der Begriff Selbstverwirklichung ist meiner Meinung nach eine Fehlübersetzung aus dem Englischen. Es geht nicht darum, etwas zu verwirklichen im Sinne, wie man einen Hausbau verwirklicht; es geht darum, das zu erkennen, das wir tatsächlich schon sind. Es geht darum, die falschen Konzepte, die falschen Vorstellungen zu überwinden und die Augen für das zu öffnen, was wir bereits sind oder was bereits ist, nämlich die Wirklichkeit oder die Wahrheit. Diese müssen wir nicht suchen, sondern dafür müssen wir nur die Augen öffnen.
Erleuchtung ist Gnade, denn Handlung impliziert immer Identifikation
Das Problem ist: Das, was wir in Wirklichkeit sind, ist von einem absoluten Standpunkt her das Gewahrsein, welches alle Erfahrungen umfasst, nämlich das Bewusstsein, welches alles durchdringt und alles beinhaltet, was durch uns wahrgenommen werden kann. Oder anders gesagt: Das, was wir in Wirklichkeit sind, ist der Geist, der alles umfasst. Und in diesem Geist findet alles statt. Oder noch einmal anders gesagt: Ich bin nicht etwas in der Welt, sondern die Welt ist in mir. Die Welt, alles, was ich erlebe, findet in mir statt, und nicht ich finde in der Welt statt. Um dahin zu kommen, zu erkennen, dass die ganze Welt in mir stattfindet, kann ich eigentlich nichts tun, sondern das ist etwas, was irgendwann über Gnade geschieht. Die gesamte Yogapraxis soll im Grunde genommen nur den Boden dafür bereiten, sie soll nur die Hindernisse aus dem Weg räumen, dass diese Gnade geschehen kann. So wie jetzt im Frühjahr: Im April sät man die Samen draußen für die Blumen. Wir können nur eine gute Erde besorgen, wir können nur regelmäßig gießen, aber wir können nicht an der Pflanze ziehen, damit sie schneller wächst.
So ist die Yogapraxis dazu da, eine gute Erde zu besorgen, regelmäßig zu gießen, aber das Wachsen der Pflanze geschieht durch die göttliche Gnade. Und ebenso ist letztendlich das, was wir Erleuchtung nennen oder Befreiung, welche wir Yogis lieber als Wort verwenden, eine Gnade, die uns widerfährt. Diese können wir nicht willentlich herbeiführen. Warum? Weil wir nicht der Handelnde sind, sondern der Seiende, der Wahrnehmende. Jede Handlung, die wir ausüben, geschieht immer in einer Dualität oder aus einer Identifikation mit Körper und Person, mit dem Handelnden. Jede Handlung, die wir vollziehen, ist immer im Relativen. Um eine Handlung zu vollziehen, muss es sozusagen den Handelnden geben, und der Handelnde sind wir nur auf der relativen Ebene, wo wir getrennt sind von der Welt. Aber in Wirklichkeit, auf der absoluten Ebene, in der absoluten Perspektive, gibt es keine Trennung, sondern da ist alles eins. Da ist Subjekt und Objekt eins.
Die Objekte tauchen in mir auf, und deshalb bin ich in Wirklichkeit nicht der Handelnde, sondern der Wahrnehmende oder, wie man auch sagt, der Genießende. Das, was ich in Wirklichkeit bin, ist nicht die getrennte Person, die auf dieser relativen, dualen Ebene handelt, sondern das, was ich im Wirklichkeit bin, ist das Gewahrsein, welches alles umfasst und welches der Urgrund von all den Erfahrungen ist, die in diesem Gewahrsein stattfinden. D.h. das Ziel des Yoga ist, dieser Wahrnehmende zu werden, loszulassen die Idee, dass ich ein getrenntes Individuum bin, loszulassen die Idee, dass ich ein Subjekt bin in einer Welt der Objekte und dahin zu kommen, die Augen zu öffnen, dass ich eins bin mit allem oder dass alles in mir stattfindet.
Diese Essenz der Spiritualität können wir überall entdecken. Ich habe neulich von Meister Eckhart gelesen. Er war ein berühmter christlicher Mystiker aus dem Mittelalter, der damals ganz viele bahnbrechende Erkenntnisse gemacht hat, die er aufschrieb und für die er nachher von der Inquisition fast umgebracht wurde. Er ist auf dem Weg zur Verhandlung einfach verschwunden. Meister Eckhart wurde einmal gefragt, wie er zu diesen ganzen Erkenntnissen gekommen ist. Meister Eckhart sagte: Still hinsetzen und beobachten.
Ich glaube, dass das das ganze Geheimnis ist: Dass es letztendlich darum geht, durch die Yogapraxis und durch all die Methoden dahin zu kommen, dass wir innere und äußere Vorgänge losgelöst beobachten können. Dass wir uns also nicht mehr identifizieren mit den Gefühlen und Gedanken und mit der Idee, der Handelnde zu sein, sondern dass wir lernen, losgelöst zu beobachten. Dass wir alles das, was in uns geschieht und was außerhalb von uns geschieht, wohlwollend beobachten, ohne dass wir ständig darin involviert sind. Diese Involvierung sorgt dafür, dass wir uns immer mehr mit der Vergänglichkeit identifizieren und mit der Idee der Handelnde zu sein und dadurch leiden. Ich glaube, Befreiung vom Leiden kommt, wenn wir uns immer mehr auf diesen inneren Beobachter beziehen.
Wenn wir immer mehr der Wahrnehmende werden statt der Handelnde, dann kann diese Gnade geschehen. Wir bereiten durch die Yogapraxis nur den Boden vor, wir bereiten uns vor, damit wir uns öffnen für diese Gnade. Aber wir können uns noch so sehr anstrengen, eine halbe Stunde im Kopfstand stehen und 40 Minuten Wechselatmung machen. Egal wie sehr wir uns anstrengen, wir bleiben der Handelnde. Im Grunde können wir sagen, je mehr wir uns anstrengen, umso mehr festigen wir die Idee, der Handelnde zu sein.
Deshalb sagt Krishna in der Bhagavad Gita: Um frei zu werden, brauchst du zweierlei: Abhyasa und Vairagya. Abhyasa ist die Anstrengung und Vairagya ist die Losgelöstheit. Dasselbe steht auch im Yoga Sutra. Darin stehen genau dieselben Begriffe: Abhyasa und Vairagya. Du brauchst Disziplin, Bemühung, Anstrengung auf der einen Seite, um den Organismus zu transformieren, die Chakras zu öffnen und die Energien zum Fließen zu bringen und den Geist zu beruhigen usw. Aber das alleine bringt dich nicht zum Ziel. Du brauchst als Gegenpol auch die Losgelöstheit, also das Nicht-Identifizieren. Aber auch das alleine bringt dich nicht zum Ziel. Du kannst dich nicht einfach nur hinsetzen und loslassen. Du brauchst eine gewisse Balance zwischen Abhyasa und Vairagya, zwischen Anstrengung und Losgelöstheit, dann kannst du darauf hoffen, dass irgendwann die Gnade kommt und du ganz von selbst erkennst, dass du der Wahrnehmende bist und nicht der Handelnde. Hari Om Tat Sat.