Im Oktober 2017 war ich mit Swami Divyananda (leider ohne meine Frau…) für 4 Wochen in Südindien unterwegs. Ganz unerwartet sind wir dann dort beide zu Hindus geworden. Hier möchte ich erzählen, wie es dazu kam und warum man eigentlich garnicht zum Hinduismus konvertieren braucht.
Warum zum Hinduismus konvertieren?
Nachdem wir beide zuvor nur in den nördlichen Gefilden Indiens unterwegs waren, wollten wir nun des sagenhaften Süden mit all seinen besonderen Tempeln erkunden. Unser Ziel für die Reise war, möglichst viele Tempel und Kraftorte zu besuchen. Leider ergab sich dann zum Beginn der Reise, dass wir bei vielen Tempeln nicht ins Innerste durften, da dies den Hindus vorenthalten ist.
Bei meiner kommenden Südindien Pilgerreise in 2018, für die aktuell noch Plätze frei sind, besuchen wir vor allem Tempel, die auch für alle begehbar sind. 🙂
Kerala: viele Tempel nur für Hindus
Viele Tempel sind durch besondere traditionelle Regeln und Verhaltensvorschriften nur für manche Leute zugänglich gewesen. So gab es Tempel nur für Brahmanen und Tempel an denen keine Frauen zugelassen waren, oder nur zu besonderen Feiertagen hereingelassen wurden. Seit der Unabhängigkeit Indiens gibt es den klaren gesetzlichen Grundsatz der Gleichberechtigung und demgemäß ist offiziell das Kastenwesen abgeschafft. Für die Tempel hat dies bedeutet, dass nach und nach quasi jeder hereingelassen werden musste, sehr zum Leidwesen der Eliten die vorher unter sich sein konnten.
Ein besonderes Dorn im Auge der konservativen Hindus wurden dann zunehmend die ausländischen Touristen, da diese im Gegensatz zu den indischen Moslems und Christen am Phänotyp erkennbar sind. Interessanterweise wurde noch zu Lebzeiten des Propheten Mohammed die erste Moschee in Kerala errichtet und Apostel Thomas gründete die erste Christengemeinde, so gibt es in Kerala einen hohen Prozentsatz an indischen Moslems und Christen. Man hat nach und nach insbesondere in Kerala eingeführt, dass in die besonders heiligen Tempel nur gläubige Hindus hereingelassen werden. Das Problem mit dem Eintritt nur für Hindus ist also vor allem eines für Touristen. Oft kommt man in die äußeren Bereiche hinein, aber das Sanctum Santorum bleibt nur Hindus (oder Leuten die so aussehen) vorbehalten.
“Hindu” ist nur eine Schublade
Der Yogaweg ist genau wie alle anderen spirituellen Wege eine Methodik, die uns in die Freiheit führen soll. Es geht darum die absolute Wahrheit jenseits aller Konzepte zu entdecken und zu erkennen. Freiheit bedeutet nicht nur die Erlösung vom Kreislauf der Wiedergeburten, sondern auch von jeglichen begrenzenden Überzeugungen. Moksha oder Kaivalya (“Befreiung”) im Hinduismus ist vor allem das frei sein von jeglichen Überzeugungen und Denkmustern, da uns diese immer nur begrenzen. Wobei natürlich zu beachten ist, dass dieses Loslassen nur als allerletzter Schritt zu verstehen ist und viele Denkmodelle uns helfen uns auf diese Freiheit zu zubewegen.
Wenn man sich selbst ein bestimmtes Etikett gibt wie z.B. Yogi, Hindu, Christ oder ähnliches, dann schafft man sich letztendlich dadurch weitere Begrenzungen, denn ein Yogi sollte den Geist beherrschen lernen, ein Hindu sollte in den Tempel gehen und ein Christ sollte die Befreiung über Jesus suchen.
- Warum sollte man sich also wieder ein neues Etikett wählen?
- Wie soll mir zum Hinduismus Konvertieren auf dem Befreiungsweg helfen?
- Wozu soll ich eine fremde Kultur als meine annehmen?
“Der Sammelbegriff “Hinduismus” fußt auf einer starken Vereinfachung der britischen Kolonialherren im 19. Jahrhundert, die damit pauschal alle Gläubigen benannten, die einer indischen Religion angehörten, die sie nicht kannten.” Deutschlandradio
In diesem Artikel umfassende Infos über “den” Hinduismus.
Braucht man eine Religion?
Ich bin zur Hälfte durch meinen Vater atheistisch sozialisiert, und zur anderen Hälfte durch meine Mutter katholisch erzogen worden. Damals war ich froh, dass ich mich im Laufe der Pubertät nach und nach aus den katholischen Strukturen weitestgehend lösen konnte. Ich bin dann zunächst Atheist geworden und wollte mit Gott und seinem Bodenpersonal nichts zu tun haben. Glücklicherweise bin ich dann mit Anfang 20 durch die Lektüre der “Autobiographie eines Yogi” auf den spirituellen Weg geraten.
„Dogmen sind wie Straßenlaternen. Sie wollen den Weg beleuchten, aber nur Betrunkene halten sich daran fest“. Karl Rahner
Mir war es immer wichtig, mir durch meinen spirituellen Weg keine neuen Begrenzungen in meinem Sein aufzuerlegen. Ich habe es immer versucht zu vermeiden mich als “Yogi” oder ähnliches zu bezeichnen, denn ich will ja frei sein. Jedes Etikett begrenzt uns innerlich und äußerlich, da es mit bestimmten Verhaltensweisen und Erwartungen verbunden ist. Ich habe nur ein Mal überlegt eine neue Religion anzunehmen. Tatsächlich war ich vor einigen Jahren sehr inspiriert vom Sufilehrer Sheikh Hassan Dyck und war kurz davor zum Islam zu konvertieren um sein Schüler zu werden. Ich bin dann aber weiter auf meinem eingeschlagenen Weg geblieben.
Über das Konvertierten
Das Wort “Konvertieren” (lat. convertere »umkehren, umwenden«) finde ich interessant, es gibt da verschiedene Bedeutungsebenen. Wiki sagt z.B.:
“Konvertierung bezeichnet in der Informatik die Überführung einer Datei von einem Dateiformat in ein anderes mittels eines Dateikonverters.”
Also der selbe Satz bedeutet übertragen:
“Religionswechsel bezeichnet in der Theologie die Überführung eines Individuums von einer Weltanschauung auf eine andere mittels eines Rituals.”
Im englischen wird für die Konvertierung gerne die Formulierung “he embraced Islam” verwendet, also “er umarmt den Islam” was viel schöner klingt als Konvertieren. Der klassische Hinduismus kennt das Konzept von “Konvertieren” oder “Übertreten” nicht, man wird Hindu nur durch Geburt. Im Altertum geb es im Einflussbereich Indiens (damals bis Persien, Afghanistan,Kambodscha und weit darüber hinaus) nur das “Sanathana Dharma” was man heute als Hinduismus kennt. Die verschiedenen Konfessionen, Philosophien und Richtungen wurden alle mit einbezogen. Daher war es nicht nötig andere “nicht-gläubigen” den Zutritt zu geben. Erst die Neo-Hindu Bewegungen die am Ende des 19. Jahrhunderts entstanden sahen die Wichtigkeit eine Möglichkeit zu schaffen Andersdenkenden eine Konvertierung zu ermöglichen.
Jetzt also die Story: zum Hinduismus Konvertieren
Wir hatten uns für eine Rundreise durch die wichtigsten Tempel von Kerala und Tamilnadu ein Taxi mit Fahrer besorgt und uns eine Route zurechtgelegt. Aus dem Norden Indiens kannten wir keine Restriktionen beim Tempelbesuchen für westliche Touristen. Ich habe es lediglich im berühmten Vishvanath-Mandir von Varanasi erlebt, dass ich als Westler nicht reingelassen wurde. Nach einem längeren Prozedere wurde ich aber auch in diesen heiligsten aller Tempel Indiens reingelassen, aber das ist eine andere Story.
Wir erfuhren zu Beginn unserer Reise, dass man eben leider nicht ohne weiteres in alle Tempel kommt. Wir waren sehr enttäuscht aber hörten dann von einer Möglichkeit: Man kann sich bei manchen modernen Hindu Bewegungen ein “Hindu-Zertifikat” besorgen und damit in alle Tempel gelangen. Natürlich gehört dazu auch ein formelles Ritual und eine kurze Befragung. Da wir beide schon sehr lange auf dem Yogaweg voran schreiten, sind wir mit dem Hinduismus sehr vertraut und haben im Laufe der Zeit unsere kulturellen Hemmungen überwunden. So haben wir uns dann schnell entschlossen durch ein Feuerritual den Hinduismus anzunehmen.
Die Hindu-Reformbewegung Arja Samaj hat eine Filiale in der Stadt Kozhikode, hier hatten wir einen Termin vereinbart für unseren Konvertierungsvorgang. Das Ritual war schnell erledigt: Eine Feuerzeremonie mit Wiederholung des Gayatri-Mantras. Am Ende hatten wir unser Hindu Zertifikat in der Hand und fühlten uns genau wie vorher. Das Zertifikat hat sich tatsächlich als sehr nützlich erwiesen, wir sind in alle Tempel hereingekommen. In manchen Tempeln mussten wir zunächst längere Diskussionen führen bis wir dann hereingelassen wurden.
- Am reichsten Tempel der Welt, dem Padmanabhaswamy-Mandir in Tiruvananthapuram, haben wir lange Diskutiert und wurden dann mit einem Begleiter durch die heiligen Hallen geführt.
- Den Arulmigu Arunachaleswarar Temple in Tiruvannamalai konnten wir erst aufsuchen, nachdem wir über 2 Stunden auf den zuständigen Entscheider warteten. Dann bekamen wir eine Führerin die uns ruckzuck zum Speed-Darshan geführt hat
Insgesamt hat es sich das zum Hinduismus Konvertieren sehr gelohnt. Wir haben uralte sehr machtvolle Tempel aufgesucht und hatten starke Erfahrungen beim Darshan.
Einiges zu den Hindu-Reformbewegungen
Zum Ende des 19. Jahrhunderts bildeten sich einige Hindu-Reformbewegungen die dann zu Keimzellen der indischen Befreiungsbewegungen wurden. Die verschiedenen Bewegungen wollten vor allem eine Einheit der verschiedenen Hindu-Strömungen erreichen, um gegen die englische Besatzung vorzugehen. Eine zentrale Idee war, wieder mehr Inder zurück zum Hinduismus konvertieren zu lassen. Viele der Ideen dieser Gruppen waren tatsächlich sehr progressiv und konstruktiv, so ist z.B. der Leitsatz der Arja Samaj:
“Gott ist die erste Ursache aller wahren Erkenntnis. Er ist seinem Wesen nach Sein, Bewusstsein und Glückseligkeit. Er ist formlos, allmächtig, gerecht, gnädig, ungeboren, unendlich, unveränderlich und unvergleichlich. Gott ist die Grundlage und der Herr von allem, allgegenwärtig, immanent, ewig und rein. Er ist der Schöpfer und allein der Verehrung würdig.”
Man muss allerdings leider sagen, dass aus diesen eher liberalen und tendenziell linken Befreiungsbewegungen dann später die “Hindutva” entstanden ist. Hindutva ist ein Überbegriff für die rechtsgerichteten Hindu-Nationalisten. Sie sind zum Teil von den europäischen Faschisten inspiriert und heute mit der “BJP” und Narendra Modi an der Macht.
“Der Hinduismus ist eine Religion, die sich überhaupt nicht eignet für irgendeine Art des Fundamentalismus. Der Hinduismus ist ja auch eigentlich weniger eine Religion als vielmehr ein Sammelsurium aus ganz unterschiedlichen religiösen Strömungen, Glaubensbekenntnissen und Ritualen. Insofern fehlt es eigentlich dem Hinduismus an dem notwendigen wesentlichen Element für einen Fundamentalismus, nämlich das Fundament. Diese gemeinsame Basis auf die sich alle beziehen , ist schlichtweg nicht vorhanden.” Pierre Gottschlich