Tat Twam Asi ist eines der bekanntesten und wichtigsten Lehrsätze aus dem Advaita Vedanta. Es ist eines der Mahavakyas, der “großen Aussprüche” der Upanishaden.
Tat Twam Asi – das bist du!
Wenn man sich eine Weile mit Spiritualität beschäftigt, hat man sehr bald die wichtigsten Grundlagen des geistigen Weges verstanden und dann ist entscheidend den Weg tatsächlich auch zu gehen. Die ersten Jahre auf dem ernsthaften Weg sind relativ leicht, zumal man immer wieder schöne Erfahrungen und tiefe Erkenntnisse macht. Jedoch ist es schwierig auch nach vielen Jahren noch weiter konsequent zu bleiben und sein Leben dauerhaft nach den spirituellen Prinzipien auszurichten.
Ich denke letztendlich brauchen wir uns nur immer wieder Er-innern, und uns dauerhaft bewusst machen:
Tat Twam Asi – das bist du!
“Du bist das”- was durch dich wahrgenommen wird. Du bist all das. Das alles ist deine wahre Natur. Du bist die Gesamtheit deiner Erfahrungen. Du bist nichts anderes als das was gerade ist. Das Absolute ist identisch mit Dir und dem was durch Dich erfahren und erkannt wird. Das bist Du. Tat twam Asi.
Der große Philosoph Arthur Schopenhauer wusste die Upanishaden sehr zu schätzen und es war für ihn der Satz “Tat twam Asi” von besonderer Bedeutung. Unter die obige Notitz schrieb er
“Das Tier, das du jetzt tötest, bist du selbst …“
…was von einem tiefen Verständnis der Lehre zeugt. Interessant ist das große Interesse Schopenhauers an den Upanishaden, obwohl er nur sehr mangelhafte Übersetzungen aus dem Sanskrit ins Persische ins Lateinische zur Verfügung hatte. Diese Übersetzung war so entfremdet, dass das Wort “Upanishad” als “Oupnekhat” und “Chandogya” als “Tschehandouk” ausgeschrhieben wurde.
Schopenhauer sagt:
Denn, wie atmet doch der Oupnekhat durchweg den heiligen Geist der Veden ! Wie wird doch der, dem, durch fleißiges Lesen, das Persisch-Latein dieses unvergleichlichen Buches geläufig geworden, von jenem Geist im Innersten ergriffen! Wie ist doch jede Zeile so voll fester, bestimmter und durchgängig zusammenstimmender Bedeutung! Und aus jeder Seite treten uns tiefe, ursprüngliche, erhabene Gedanken entgegen, während ein hoher heiliger Ernst über dem Ganzen schwebt … Es ist die belohnendste und erhabenste Lektüre, die (den Urtext ausgenommen) auf der Welt möglich ist: sie ist der Trost meines Lebens gewesen und wird der meines Sterbens sein.”
Quelle des “Tat Twam Asi”
Wir finden den Vers mit dem denkwürdigen तत्त्वमसि tat tvam asi in der Chandogya Upanishad, Vers 6.8.7. Dieser Text gehört zu den ältesten, längsten und wichtigsten Upanishaden und sie wird dem Samaveda zugeordnet.
Tat Twam Asi in der Chandogya Upanishad 6.8.7.
Rishi Uddalaku spricht zu seinem Sohn und Schüler Svetakhetu, den er nach dessen Studium prüft:
Now that which is that subtle essence (the root of all), in it all that exists has its self. It is the True. It is the Self, and thou, O Svetaketu, art it.”
Max Müller
“Now, that which is the subtle essence—in it all that exists has its self. That is the True. That is the Self. That thou art, Svetaketu.”
Swami Nikhilananda
,,Was diese Winzigkeit ist, das ist das Selbst des Universums. Das ist die Wahrheit. Das ist das [individuelle] Selbst. Das bist du, Svetaketu!“
Paul Thieme
“Was jene Feinheit [Unerkennbarkeit] ist, ein Bestehen aus dem ist dieses Weltall, das ist das Reale, das ist die Seele, das bist du, o Shvetaketu!“
Paul Deussen
Ich habe nur wenige Übersetzungen der Chandogya Upanishade gefunden, mit der folgenden recht modernen Übersetzung konnte ich am meisten anfangen:
“Was diese feinste Essenz ist (das Sein), das hat die ganze Wirklichkeit als ihr innerstes Prinzip. Das ist die Wahrheit. Das ist der Atman. Das bist Du, Schvetaketu.”
Bettina Bäumer
Bettina Bäumer ist eine moderne Übersetzerin deren Werke ich sehr empfehlen kann. Um noch einen weiteren Indienkenner der Vorkriegszeit einzubeziehen, sei hier die Analyse von Heinirich Zimmer als schöne Interpretation des Tat twam Asi zitiert:
“Wenn die eine innere Substanz aller Dinge im eigenen Innern erkannt ist, dann werden die verschiedenen Masken, die sie annimmt, transparent. Jedes Verstehen, jede Sympathie und jede Liebe beruht auf der wesenhaften Identität des ´Erkenners und des ´Erkannten`. Haß entsteht nur aus der Illusion der Verschiedenheit.”
Tat twam Asi – eines der 4 Mahavakyas
“Obwohl dieser Gott in radikaler Andersheit die Gesamtheit der Schöpfung durchdringt, erfährt der Rishi der Upanishaden sich in seiner Erleuchtung doch als eins mit ihm. Gott und das Selbst sind nicht getrennt, sondern auf unfassbare Weise im innersten Wesenskern vereint. Die vier großen Worte (Mahâvâkyas) der Upanishaden versuchen dieses Mysterium sprachlich zu fassen, falls dies in der Begrenztheit des menschlichen Ausdrucks überhaupt möglich ist.”
So Peter Michel in der Einleitung zu Deussens “Upanishaden- Geheimlehre des Veda”
Der Ausspruch Tat twam Asi gehört zu den 4 großen Lehrsätzen “Mahavakya” der Upanishaden welche als Essenz der gesamten lehre der Upanishaden betrachtet wird und die von den verschiedenen Vedanta-Schulen unterschiedlich interpretiert werden. Im Grunde genommen geht es um die selbe Wahrheit die auch im Johannes Evangelium vermittelt wird, also “Ich und der Vater sind eins” (Joh. 10,30) und zugleich um die Erkenntnis “Der Vater ist größer als ich” (Joh. 14,28). Die vier Mahavakyas scheinen zunächst das selbe auszusagen, jedoch gibt es subtile philosophische Feinheiten die in der Meditation erkannt werden können. Für die Advaita Vedanta Lehre des Shankara haben diese 4 Mahavakyas eine besondere Bedeutung.
“Die Upanishaden kennen vier große, markante Sätze oder Erkenntnisse, die sogenannten vier “Mahavakyas”. In diesen vier kurzen, fast mantrischen Sprüchen wird die innerste Botschaft der Upanishaden markiert. Alle vier drehen sich um das große Geheimnis der Selbst-Erkenntnis, um das Mysterium der verborgenen Göttlichkeit des Menschen.”
Paul Deussen
Mahavakya महावाक्य bedeutet wörtlich:
- Maha – groß, großartig,
- Vakya – Aussage, Leitsatz, These
Vortrag über die Mahavakyas
Die Quellen der Mahavakyas:
- प्रज्ञानं ब्रह्म prajñānaṃ brahma “Bewusstsein ist Brahman” Aitareya Upanishad 3.3 des Rigveda.
- अहं ब्रह्मास्मि aham brahmāsmi “Ich bin Brahman” Brihadaranyaka Upanishad 1.4.10 des Yajurveda.
- तत्त्वमसि tat tvam asi “Das bist Du” Chandogya Upanishad 6.8.7 des Samaveda.
- अयमात्मा ब्रह्म ayam ātmā brahma “Dies Selbst ist Brahman” Mandukya Upanishad 1.2 des Atharvaveda.
Swami Sivananda fasst die Bedeutung der Mahavakyas sehr schön zusammen:
“Der erste Aphorismus ist die unfehlbare Erkenntnis, die Brahma beschreibt und die Erkenntnis des Selbst vermittelt. Der zweite vermittelt unmittelbar die Erkenntnis des “einzigen Beweises des Weltalls”. Der dritte ist das Wort der “Belehrung”, das aufgrund der Unterweisung des Gurus die Erkenntnis Shivas ermöglicht. Der vierte gibt die unmittelbare Schau, die zur Erkenntnis Brahmas führt.”
Shankara, der Begründer des Advaita Vedanta, schickte seine 4 wichtigsten Schüler in die 4 Himmelsrichtungen um jeweils ein Zentrum zu Gründen, jedem gab er eines der Mahavakyas um es zu bewahren und die entsprechenden Texte zu pflegen.
Die 4 Mahavakyas im einzelnen:
- Prajnanam Brahma “Das Bewusstsein ist das Absolute”
Also das bewusste Sein an sich ist bereits das ersehnte Absolute welches wir Brahman nennen. Um zu verwirklichen müssen wir also “nur” vollkommen bewusst sein und nicht dem Nicht-Selbst also der Maya unterliegen.
- Aham Brahma Asmi “ich bin Brahman”
Das individuum ist in seiner wahren Natur identisch mit Gott, es geht bei Brahman um nichts abstraktes sondern ganz konkret um mich selbst. Was ich als Ich erfahre ist also gleich das Absolute Bewusstsein.
- Tat Twam Asi “Das bist Du”
Der Lehrer sagt diesen Spruch zu Schüler, um ihm bewusst zu machen, dass er (vom absoluten Standpunkt aus gesehen) eins mit dem ist, was er Wahrnimmt. Es gibt nur die Einheit und die ist immer da, es gibt keine Trannung zwischen Subjekt und Objekt.
- Ayam Atma Brahman “Dieses Selbst ist das Absolute”
Das individuelle Selbst und das höchste Göttliche sind identisch, es gibt keinen Unterschied. Wir können also entweder das Selbst im Innen suchen, oder Gott im aussen. Atman das Selbst ist das gleiche wie Brahman das universelle, absolute und alldurchdringende Göttliche.
Das 5. Mahavakya
Zwar sind es nur 4 Mahavakyas von denen Shankara konkret spricht, jedoch gilt dieses auch als das 5. der Mahavakyas.
sat chid ananda svarupoham – „Meine wahre Natur ist Sein, Bewusstsein, Glückseligkeit”
Nrisimha-Uttara Tapaniya Upanishad
Wenn wir es also schaffen, uns von allem vergänglichen zu lösen, ganz frei von allen Verhaftungen zu werden, erkennen wir was wir in Wirklichkeit sind. Und das ist jenseits von Form und Eigenschaften, nicht zu beschreiben. Ausser eben mit diesen drei Begriffen. Das selbst ist Sein/Existenz, Bewusstsein/Wissen und Glückseeligkeit/Wonne.
Soweit meine Gedanken und Ausführungen zu den Mahavakyas und insbesondere zum Tat twam Asi. Hier findest du noch eine geleitete Meditation über die Mahavakyas.
Weitere Aussprüche wie Mahavakyas
- ekam sat vipra bahudha vadanti
Es gibt eine Wahrheit, die Weisen benennen sie verschieden”
RigVeda 1.164.46 - satyam jnanam anantam brahman
„Wahrheit, Wissen & Unendlich ist Brahman“
Taittiriya Upanishad 2.1.1. - neti neti
“Nicht dies, nicht das!”
Brihadaranyaka Upanishad 2.3.6. - brahma satyam jagan mithya jivo brahmaiva napara
Brahman ist wirklich. Die Welt ist Schein. Das Selbst ist nichts als Brahman allein.
Brahma Jnanavali Mala 20 - sarvam khalvidam brahma
„All dies ist Brahman, die absolute Wirklichkeit.“
Chandogya-Upanishad 3.14.1