Hier eine interessante Frage von Susanth über Opferrituale im Hinduismus. Gerne möchte ich meine Serie “Q&A”, also “Fragen und Antworten”, hiermit noch weiter ausbauen. Du kannst dich gerne bei mir melden wenn du eine Frage rund um Yoga & Vedanta hast, entweder per Mail an narada(ät)vedanta-yoga.de oder über meine facebook-Seite.
Hallo und guten Morgen, ich bin der Susanth und mache ein kleines Selbststudium im Hinduismus. Dadurch bin ich zufällig auf Ihre Seite gestoßen und würde gerne eine Frage zu Ihrer Reihe “Q & A” einreichen.
Es geht um Rituale mit Opferungen von Tieren: So wie ich es verstanden habe, schätzt ein „Hinduist“ jedes Lebewesen (welches genauso wertvoll ist wie ein Menschenleben). Deswegen sollte man keinem Leben Leid zufügen. Wieso gibt es dann Rituale wo Tiere geschlachtet werden? Herrscht hier nicht ein Widerspruch? Durch mein selbst Studium hätte ich zwar ein Ansatz: Es gibt 3 Eigenschaften aus denen die Welt zusammengesetzt ist, Sattva (Tugend, Reinheit), Rajas (Leidenschaft) und Tamas (Unwissenheit, Dunkelheit). Menschen bei denen die Eigenschaft der Tamas im Bewusstsein vorherrschend ist, nehmen das Leid anderer nicht so sehr wahr. Um diese Art “Hindu” vor schlimmeren zu bewahren gibt es Richtlinien nach denen es ihm gestattet ist Tiere zu Schlachten. Hier kommt mein Aber: Im vierten Canto des Bhagavad Purana ist mir was aufgefallen. Da gibt es einmal die Geschichte von Daksa und Shiva sowie die Geschichte von König Prthu und Indra. In beiden Geschichten finden große Opferrituale statt. Hier werden auch Tiere geopfert, um das/den Höchste/n zu verehren. Hier findet doch keine Opferungen im Sinne für die Menschen der Tamas statt, sondern nur um die Gunst des „Gottes“ zu erlangen. Wieso erfreut sich Gott daran? Es heißt doch (BG 19.26): “Wenn jemand Mir mit Liebe und Hingabe ein Blatt, eine Blume, eine Frucht oder etwas Wasser opfert, werde Ich es annehmen.” Also Fleisch ist nicht von Nöten. Daksa und Prthu müssen doch nicht töten. Die beiden sind nicht in der Erscheinungsweise der Tamas, Prthu ist eine Inkarnation von Gott und damit sattva (?). Es steht aber im vierten Canto: 4.20.1 Der große Weise Maitreya fuhr fort: “Mein lieber Vidura, da Sri Vishnu, die Höchste Persönlichkeit Gottes, durch die Ausführung der neunundneunzig Pferdeopfer sehr zufrieden war, erschien Er in der Arena. König lndra begleitete Ihn. Darauf begann Sri Vishnu zu sprechen.” Ich interpetiere daraus: “Er” erfreut sich daran wenn man in rituellen Zermonien Tiere tötet.
Stimmt das? Sorry für den Roman, ich hoffe Sie können mich diesbezüglich aufklären.
Viele Grüße Susanth!
Opferrituale vs. Ahimsa
Hallo & Namaste, lieber Susanth,
natürlich kann ich dir deine Frage nur aus meinem beschränkten Blickwinkel beantworten, denn zu dieser Thematik gibt es seit Jahrhunderten viele kontroverse Diskussionen. Zunächst mal gibt es nicht “den” Hinduismus, sondern die indische Spiritualität beinhaltet sehr viele verschiedene Strömungen und Ansichten, die allesamt unter dem Namen “Hinduismus” zusammengefasst werden. Vieles davon widerspricht sich total und ist kaum miteinander zu vereinbaren, so auch die von dir angesprochene Thematik. Um eine befriedigende Antwort zu geben, muss ich etwas ausholen. Im alten Indien, also zur sogenannten “vedischen Periode” der Entwicklung des Hinduismus stand ein elitärer Ritualismus im Vordergrund. Die Angehörigen der oberen Kaste der Brahmanen entwickelten ein komplexes System, um mit der Hilfe von ausgeklügelten Ritualen in Kontakt mit den Göttern zu gelangen und diese zu besänftigen.
„Alle Götter fördern den Priester der den Bullen im Ritual opfert.“ Atharva Veda 9.4.18
Sie wurden von den anderen Kasten dafür bezahlt, die unberechenbaren und zum Teil zornigen vedischen Götter zufriedenzustellen und damit auch egoistische Wünsche zu erfüllen. Dieses wird auch von Krishna in der Bhagavad Gita kritisiert, so z.B. in 2.43:
„Sie sind voller Wünsche, der Himmel ist ihr Ziel, und das Ergebnis ihres Tuns ist eine neuerliche Geburt; sie schreiben verschiedene Methoden mit einer Überfülle an bestimmten Handlungen vor, um Vergnügen und Macht zu erlangen.“
Später rückte dann der individuelle Wunsch nach spiritueller Verwirklichung mehr in den Mittelpunkt, was sich in den Texten der Upanishadem ausdrückt. Es stehen dort weniger die Götter im Zentrum, sondern es werden Wege aufgezeigt um Moksha zu erlangen. Eine wesentliche Voraussetzung, um die Freiheit von Samsara, dem Kreislauf der Wiedergeburten, zu erreichen ist der Einklang mit der Schöpfung. Um mit der Welt ins Reine zu kommen ist Gewaltlosigkeit unabdingbar und sie spielte in der Entwicklung des Hinduismus eine zunehmend wichtige Rolle. So wurden zu vedischen Zeiten alle möglichen Methoden angewand um mit den Göttern in Verbindung zu treten, unter anderem eben auch Opferungen von Tieren. Wie in jedem System gibt es auch im Hindismus konservative und progressive Kräfte, die Traditionalisten hielten lange an den Opferungen fest, während die Fortschrittlichen erkannten, dass diese nicht nötig sind.
«Wie soll es jemanden, der Fleisch isst, und selbst wenn es sich um einen Brahmana handelt, möglich sein, erhoben zu werden oder Befreiung zu erlangen?» Padma Purana 1.13.321
Nun noch zu deinen Unterfragen:
- Wieso gibt es dann Rituale, wo Tiere geschlachtet werden?
Tatsächlich ist heute in fast allen Bundesstaaten Indiens das Opfern von Tieren verboten, wobei es wohl häufig illegale Opferrituale gibt. In Nepal hingegen sind Tieropfer bis heute legal, bekannte von mir waren mal zufällig in einem Durgatempel und haben dort ein Ziegenopfer miterlebt, es war grausam. Alle fünf Jahre findet in Nepal (das einige Land in dem Hinduismus Staatsreligion ist) ein großes Fest für die Göttin Gadhimai statt, bei der bis zu 300.000 Tiere geopfert werden um die Göttin zu besänftigen. Grauenvoll und unnötig aus der Sicht eines jeden aufgeklärten Yogis der auf Befreiung aus ist.
- Herrscht hier nicht ein Widerspruch?
Absolut! Aber das ist nun mal das generelle Problem mit den Konservativen, es stehen Werte im Vordergrund, die nicht hinterfragt werden.
- Wieso erfreut sich Gott daran?
Wir sollten unterscheiden zwischen dem einen absoluten Göttlichen, welches alles umfasst und durchdringt, und den verschiedenen Erscheinungsformen entsprechend dem Bewusstsein und der Kultur der Anhänger. Gott ist Liebe und anderen Leid zuzufügen entfernt von Gott.
- Die beiden sind nicht in der Erscheinungsweise der Tamas, Prthu ist eine Inkarnation von Gott und damit sattva?
Die Götter sind nicht automatisch Sattwa, so wird z.B. der Trinität von Brahma, Vishnu und Shiva auch jeweils ein Guna zugeordnet.
Ich hoffe dir mit meinen Antworten geholfen zu haben?
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