Kleshas: Ursachen für Leid
Patanjali Yoga Sutra 2.3
avidyā-asmitā-rāga-dveṣa-abhiniveśaḥ kleśāḥ
avidyā = Unwissenheit, Verwechslung, Illusion
asmitā = Selbst/ Ich- bezogenheit, Egoismus
rāga = Gier, Anziehung, Wunsch, Verlangen
dveṣa = Ekel, Abneigung, Ablehnung
abhiniveśa = Todesangst, am Leben hängen
kleśa = Schmerzen, Leiden, Bürden, Gebrechen
Mangel an Erkenntnisfähigkeit, Identifikation mit dem Wandelbaren, der Glaube, durch äußere Umstände Glück oder Unglück zu erfahren und Todesangst sind die Leiden auf dem Weg.
oder“Unwissenheit, Selbstbezogenheit, Anziehung und Abneigung sowie Furcht vor dem Tod sind Ursachen des Leidens.”
- avidyā ist die Unwissenheit über das Wesen des Selbst, bzw. die Unkenntnis über die wirklichkeit jenseits der Illusion.
- asmitā ist das festhalten an der Idee ein begrenztes, vergängliches und individuelles Wesen zu sein.
- rāga ist das Streben nach schönen Erfahrungen von denen wir annehmen darin echtes Glück zu finden.
- dveṣa ist das Ablehnen von schlechten Erfahrungen in der Annahme, dass sie unser wahres Glück verhindern.
- abhiniveśa ist das festhalten am Leben und die Angst davor den Körper und diese Welt zu velassen.
Patanjali Yoga Sutra 2.4
avidyā kṣetram-uttareṣām prasupta-tanu-vicchinn-odārāṇām
prasupta = latent, schlummernd, schlafend
tanū = vermindern, ausdünnen; dünn, schlank, fein
vicchinnā = ausgewachsen, unterbrochen, verstreut
āṇām = von all diesen
“Fehlende Erkenntnis ist der Nährboden für die übrigen Leiden, diese Unwissenheit kann schlummernd, keimend, ausgewachsen oder übermächtig sein.”oder“Unwissenheit ist die Ursache der nachfolgenden Leiden. Sie sind schlafend, gering, unterbrochen oder aktiv.”
- (asmita) unser Körper, Die Gedanken und Gefühle, Ich als Individuum und die Begrenztheit nur eine Illusion war.
- (raga) nichts in der Welt uns glücklich machen kann, weil das Selbst an sich höchste Glückseligkeit ist.
- (dvesha) es nichts gibt was uns aus der Erfahrung der absoluten Wonne des Selbst holen kann.
- (abhinivesha) im Todesfalle nur die Hülle vom wahren Selbst abfällt und wir in Wahrheit unsterblich sind.
- Alles Bedingte Sein ist Leidvoll.
- Das Leiden hat eine Ursache, die Unwissenheit.
- Leid ist nicht endgültig, man kann sich befreien.
- Es gibt einen konkreten Weg zum Ende des Leids.
Patanjali Yoga Sutra 2.5
anityā-aśuci-duḥkha-anātmasu nitya-śuci-sukha-ātmakhyātir-avidyā
aśuci = Unreine, nicht Sauberes
duḥkha = Schmerz, Leid, Elend
anātma = nicht-Selbst
nitya = Beständig, Ewig, Immerwährend
śuci = Rein, Sauber, Strahlend
sukha = Glück, Glück bringend
ātma = das wahre Selbst
khyāti = Erkennen, Wissen
avidyā = Unwissenheit, Verwechslung, Illusion
“Vergängliches mit Ewigem, Unreines mit Reinem, Leidbringendes mit Freudvollem, Nicht-Selbst mit dem wahren Selbst zu verwechseln, wird Mangel an Erkenntnis genannt.”
oder“Vergängliches, Unreines, Leidvolles oder das Nicht-Selbst als Ewiges, Reines, Angenehmes oder das Selbst anzusehen- ist Unwissenheit”
- Anitya – Alles ist vergänglich und wandelbar.
- Dukha – Alles ist Leidenvoll, bzw. hat das Potential dazu.
- Anatman – Alle Dinge und Phänomene existieren ohne einen unveränderlichen Wesenskern.
Wobei gerade der letzte Begriff seit Urzeiten zu erbitterten philosophischen Diskussionen führt. Es geht um die Frage ob es ein Selbst im Sinne des vedantischen Atmans gibt, also ein alldurchdringendes Bewusstsein jenseits von Name, Form und Veränderung, oder ob es kein allem zugrundeliegendes und absolutes Selbst gibt. Da Buddha sich nahezu jeglicher Aussagen zu transzendenten Themen enthalten hat, hat er eben auch gesagt, dass es keinen Atman gibt welcher transzendent und Immanent ist. Damit ist aus nicht definitiv gemeint, dass es keinen Atman gibt, ich denke es geht (wie so oft) um eine Frage der Begrifflichkeiten und der Definition von Wörtern. Aber wir können diesen Vers durchaus als kleinen Seitenhieb Patanjalis an die Buddhistische Philosophie sehen, zumal dieser Streit sich meistens um Atman/ Anatman dreht.
Aber wir können den Vers auch als Verweis an die Konzepte des Vedanta sehen, und damit ist uns sicher mehr geholfen als dieser alten Diskussion beizuwohnen. Im Sadhana Chatustaya werden die 4 Vorraussetzungen für das Vedanta genannt, hier ist eine grundlegende Praxis die der Unterscheidungskraft, Viveka. Es soll letztlich im Vedanta genau zwischen den im Vers genannten Punkten intellektuell getrennt werden. Wenn wir also immer unterscheiden zwischen den vier Punkten, werden wir bald avidya überwinden, und damit auch alle Leiden.
Patanjali Yoga Sutra 2.6
dṛg-darśana-śaktyor-ekātmata-iva-asmitā
darśana-śakti = Kraft des Sehens, Instrument der Wahrnehmung
ekātmatā = Einheit, Einssein, Verschmelzung
eva = als ob, allerdings,
asmitā = Selbst/ Ich- bezogenheit, Egoismus
“Verwechslung Wahrnehmenden mit dem Wahrgenommenen wird Identifikation mit dem Vergänglichen genannt.”oder“Wird der Sehende mit dem Organ des Sehens gleichgesetzt, so ist das Ich-Bezogenheit.”
Patanjali Yoga Sutra 2.7
sukha-anuśayī rāgaḥ
anuśayī = treu anhängend, verbunden mit, vertrauen auf, resultierend, festhaltend
rāga = Gier, Verlangen, Anziehung, Zuneigung, Mögen
“Verlangen ist das, was am Wohlbefinden festhält.”oder“Anziehung ist das, was sich mit Vergnügen beschäftigt.”
Patanjali Yoga Sutra 2.8
duḥkha-anuśayī dveṣa
anuśayī = treu anhängend, verbunden mit, vertrauen auf, resultierend, festhaltend
dveṣaḥ = Ekel, Abneigung, Nichtmögen
“Ablehnung ist das, was am Unglück festhält.”oder“Nichtmögen vermeidet Leiden.”
“Was ist nur verkehrt mit dem Geist, der immer die Freude sucht und zugleich das Leid vermeidet? Denn zwischen den Ufern von Freude und Leid fliesst der Fluss des Lebens. Nur wenn der Geist nicht mit dem Fluss fliesst, sondern an den Ufern festhängt, gibt es Probleme.”
“Der selbstbeherrschte Mensch jedoch, der sich mit beherrschten Sinnen zwischen den Dingen bewegt und frei ist von rāga und dveṣaḥ, erlangt Frieden.”
“Der Zug von rāgadveṣaḥ. Die zwei Strömungen des Geistes – Zu- und Abneigung – bestimmen die Welt von Samsara. Ein weltlicher Mensch ist Sklave dieser zwei mächtigen Strömungen. Er wird wie ein Strohhalm hin- und her geschleudert. Er lächelt, wenn er Vergnügen erfährt; er weint, wenn er Schmerz erfährt. Er klammert sich an das Angenehme; er läuft vor Dingen davon, die Schmerz verursachen.”
Patanjali Yoga Sutra 2.9
svarasvāhi viduṣo-‘pi samārūḍho-‘bhiniveśaḥ tathā-rūḍho’bhiniveśaḥ
vāhī = Träger
viduṣa = der Gelehrte, Weise
api = sogar
samā = sehr, völlig
rūdhaḥ = reitend, beherrschend
abhiniveśa = Todesangst, am Leben hängen, wunsch nach Beständigkeit
“Die Todesangst besteht aus sich selbst heraus, auch Weise sind davon betroffen.”oder“Der Wunsch nach Beständigkeit ist, an der eigenen Persönlichkeit zu hängen, es geschieht auch den Weisen.”
Wenn wir einen Körper mit all seinen Funktionen haben, wollen wir ihn natürlich auch gerne behalten. Das Leben ist schön und trotz allen auf und ab`s haben wir gelernt es zu geniessen, daher wollen wir es nicht verlieren. So weit, so gut. Dagegen ist auch ncihts zu sagen, warum ist also die Angst zu Sterben eine so essentielle Ursache des Leidens, dass Patanjali es im Rahmen der 5 Kleshas aufzählt? Die Arterhaltung ist sicher der wichtigste Trieb des Menschen und äussert sich im Fortpflanzungsdrang und eben in der Angst zu Sterben. Die Yogis sagen aber, dass es für die höchste Erkenntnis entscheidend ist, innerlich die Welt ganz loszulassen. Erst wenn wir uns ganz von der Welt gelöst haben, öffnet sich die Tür des höchsten Wissens. Und so kann uns eben dieser Wunsch nach Beständigkeit im Leben davon abhalten ganz losgelöst zu sein und zu erkennen. Und so ist es auch wohl bei den Weisen der Fall, dass sie, wenn alles aufgelöst ist, noch an ihrem Körperlichen Leben hängen. Klar, denn sie haben viele Jahre und Jahrzehnte spiritueller Praxis benötigt um “Weise” zu werden. Im täglichen Leben, geht es hierbei wohl um Loslassen, um die Veränderungen des Lebens zu bejahen und eben an ncihts festzuhalten. Nur so können wir jedem Augenblick wieder ganz neu begegnen. Man muss also sozusagen zum Sterben bereit sein, um zum wahren Leben zu erwachen.
Soweit mein Kommentar zu den Versen 3-9 des Sadhana Pada des Patanjal Yoga Sutra.
Hier noch ein passendes Video dazu.