Die Geschichte der Nath Yogis ist im Westen nicht sehr bekannt, obwohl diese ein entscheidendes Puzzlestück in der Entstehungsgeschichte des modernen Yoga bedeutet. Das körperliche Yoga, wie es heute bekannt und verbreitet ist, hat sich aus unterschiedlichen Wurzeln heraus entwickelt und vor etwa 1000 Jahren als Hatha Yoga gebildet.
Sicher haben wir den Nath Yogis den hohen Stellenwert der Körper- und Energietechniken des heutigen Yoga zu verdanken, da sie Hatha und Kundalini Yoga als eigenständigen Weg definiert, kodifiziert und propagiert haben. Im Kontext von Askese oder Selbstkasteiung wurde eine frühe Form des Hatha Yoga, bereits zu vedischen Zeiten geübt, also vor über 4500 Jahren.
Das Hathayoga hatte nie den hohen Stellenwert in der indischen Geisteswelt, wie es heute vielleicht den Eindruck macht. Schon immer waren die klassischen 4 Yogawege (Jnana, Bhakti, Raja und Karma) entscheidend, und Hatha- und Kundaliniyoga wurde (wenn überhaupt) nur zur Unterstützung geübt. Wobei man das sicher nicht pauschal sagen kann, da Indiens spirituelle Strömungen schon immer unüberschaubar, vielfältig und bunt waren.
Hier ein kleiner Überblick zu den Wurzeln des Hatha Yoga:
- Man hat in archäologischen Ausgrabungen von Mohendro Daro im Indus Tal Darstellungen von Körperhaltungen auf Siegeln gefunden, die man nur mit viel Übung einnehmen kann. Das ist allerdings kein Beweis dafür, dass das Yoga 5000 Jahre alt ist. Dafür ist ein Siegel zu wenig.
- In den alten Texten Indiens stehen Hinweise auf Hatha Yoga, wie z.B. im Mahabharata, wo von “Tapasya” die Rede ist, also von Askese-Übungen bzw. Körperübungen.
- Etwa 320 v.Chr. drang Alexander der Große mit seiner Armee jenseits des Himalaya bis zum Indus durch. Dort begegnete er “Gymnosophisten“, also nackten Weisen. Diese haben Körperverrenkungen gemacht, die von Alexanders Geschichtsschreibern dokumentiert wurden.
- Im etwa 1700 Jahre alten Yoga Sutra spricht der Autor Patanjali zwar von Asana, meint damit aber die Sitzhaltung für die Meditation. Man kann aber seine Anweisung “Stabil und angenehm” auch auf Hatha Yoga Positionen anwenden.
Erst durch die Nath Yogis, die sich aus dem Tantra, der Avadhut-Tradition, dem Vajrayana-Buddhismus und dem Shiva-Siddhanta herausentwickelt haben, wurde die körperliche und energetische Ebene des Yoga zu einem eigenständigen Weg des Yoga, dem Hatha Yoga. Auch Advaita Vedanta, Raja Yoga und Bhakti waren Einflüsse, die sich in den Texten der Nath widerspiegeln. Zeitlich lassen sich die Ursprünge des Nath Kultes auf das 11. Jhd. zurückführen. Die Anhänger des Natha-Kultes haben sich zurückgezogen, um machtvolle Körperübungen zu kultivieren und diese der Nachwelt zu hinterlassen. Allerdings war es eine geheime Methode, die durch den Orden geschützt wurde. Es hat sich dann erst im letzten Jahrhundert das Hathayoga zu einer allgemein zugänglichen elaborierten Praxis entwickelt, nicht zuletzt durch den Einfluss der europäischen Gymnastikbewegung!
Entstehung des Nath Yogi Kultes
Die Nath Yogis haben einen großen Einfluss auf die Geschichte Indiens gehabt und sie haben maßgeblich geprägt, was wir heute als modernes Yoga kennen. Das Wort “Nath” bedeutet “Lehrer, Meister, Herr, Beschützer” und es werden die Gurus und Linienhalter mit dem Anhängsel “nath” am Namen bezeichnet. Die Nath Bewegung wird auch als “Nath-Sampradaya”, also als “Nath-Traditionslinie” bezeichnet, die eine reine Einweihungstradition ist, also nur vom Lehrer zum Schüler weiter gegeben werden kann. Der Nath Kult enthält sehr viele Untersektierungen, auch aufgrund der vielfältigen Wurzeln der Bewegung.
Die Nath Yogis rufen gerne laut “Alakh Niranjan“, das ist ihr Ruf, mit dem sie immer wieder gerne Gott ehren, es bedeutet in etwa: der “unerreichbare makellose”. Auch begrüßen sich die Nath Yogis gerne mit “Adesh- Adesh“, dieses Wort soll an einen berühmten Vers von Gorakhnath erinnern:
In unserem relativen Denken unterscheiden wir zwischen Atman, Paramatman und Jiva,
die Wahrheit ist, das diese eines sindund die verwirklichung dessen nennt man Adesha.”
Hier die wichtigsten ursprünglichen Lehrer der Nath Yoga Tradition:
- Adi Nath – Der erste Lehrer des Nath Kultes war kein Geringerer als Shiva Mahadev selbst. Er hat auf Bitten seiner Gemahlin Parvati ihr die Techniken des Kundalini und Hatha Yoga auf einer geheimen Insel vermittelt, damit sie es den Menschen geben konnte, um sich im dunklen Zeitalter zu orientieren. Leider ist Parvati während der Ausführungen eingeschlafen, sodass sie die wesentlichen Teile nicht mitbekommen hat. Glücklicherweise hat der Fisch Lokeshwara alles mitbekommen und wurde dann von Adinath in eine menschliche Inkarnation geschickt, um das Wissen weiter zu geben. Viele Nathyogis verehren ins besondere Dattatreya als Trimurti-inkarnation in seiner Funktion als Adinath.
- Matsyendranath – Als erster menschlicher Nathmeister stellt er die Verbindung zwischen den Menschen und der Ebene der Götter dar. Matsyendranath ist die Wiedergeburt bzw. Transformation des Fisches Lokeshwara, der die Lehren des Yoga von Adinath Shiva bekommen hat. Er wird auch Vishvayogi genannt, weil seine Lehren so universell sind und er ist auch im Buddhismus einer der großen Lehrer, der sog. Mahasiddhas.
- Goraknath – wird auch schonmal Gorakshanath, Gorakh oder Gonath genannt und er ist sicher neben Adi Shankaracharya einer der einflussreichsten Meister für das moderne Yoga. Er hat seinen Meister Matsyendranath in der Meisterung der Hathayoga Übungen übertroffen und gilt als größter der Nath-Meister. Gorakhnath hat viele Texte hinterlassen, so zB den verschollenen Text “Hathayoga”, das “Gorakshasamhita”, Das “Yogabija” und vor allem das “Siddha Siddhanta Paddhati”. In ganz Indien gibt es Orte, an denen er gewesen sein soll, der Legende nach soll er durch Hathayoga den Tod überwunden haben.
Nach diesen drei ursprünglichen Lehrern teilt sich die Nath-Sampradaya (Traditionslinie) in unzählige Sektierungen die sich jedoch alle auf die ersten drei Lehrer beziehen. Es gibt zB die Tradition der “Navnaths”, die sich auf 9 große Nathyogis als Inkarnationen der neun Narayans, der Helfer von Vishnu, beziehen. Das bekannteste Mitglied der Nath Sampradaya in heutiger Zeit ist der Hindunationalist Adithyanath, einer der demagogischen Scharfmacher um Narendra Modi. Da gehe ich an dieser Stelle nicht weiter drauf ein.
Weitere berühmte Nath Yoga Lehrer waren beispielsweise:
Nisargadatta Maharaj– war ein Lehrer des Vedanta der bis 1981 in Bombay lebte und eine Nath Interpretation des Advaita Vedanta lehrte. Er hat großen EInfluss auf die moderne Vedanta und Satsang Bewegung, sein Werk “Ich bin” ist eines meiner Lieblingsbücher.
„Sobald du erkennst, dass der Weg das Ziel ist und dass man immer auf dem Weg ist, nicht um ein Ziel zu erreichen, sondern um seine Schönheit und seine Weisheit zu genießen, hört das Leben auf, eine Aufgabe zu sein und wird natürlich und einfach, an sich eine Ekstase.“ Nisargadatta Maharaj
Jnaneshvara- war ein Bhakti und Kundalini Heiliger der 1275 geboren wurde und einen brühmten BhagavadGita Kommentar schrieb der eine wunderschöne Beschreibung der Kundalini enthält. Jnaneshwara hat Wundervollbracht und war beispielhaft für die Kritik des Kastensytems.
“Gegrüßt sei der Herr von allem, der im sichtbaren Universum verborgen ist. Er ist es, der dieses Universum erscheinen lässt, und Er ist es auch, der es verschwinden lässt. Wenn Er sich offenbart, verschwindet das Universum; wenn Er sich verbirgt, erstrahlt das Universum. Doch er verbirgt sich weder, noch offenbart er sich, er ist in jedem Augenblick vor uns gegenwärtig. Ganz gleich, wie vielfältig und unterschiedlich das Universum erscheint, Er bleibt unbewegt, unverändert. Und das ist genau so, wie man es erwarten würde, da Er immer eins ist, ohne eine Sekunde. Es ist dieses eine reine Bewusstsein, das zu allem wird – von den Göttern oben bis zur Erde unten. Objekte mögen als hoch oder niedrig angesehen werden, aber der Ozean des Bewusstseins, der immer rein ist, ist alles, was jemals ist. Obwohl sich die Schatten auf der Wand ständig verändern, bleibt die Wand selbst beständig und unbewegt. Genauso nehmen die Formen des Universums ihre Gestalt aus dem Bewusstsein – dem ewigen, ursprünglichen Einen – an. Zucker ist nur Zucker, auch wenn er in viele Formen gebracht werden kann. Genauso ist der Ozean des Bewusstseins immer derselbe, auch wenn er alle Formen des Universums annimmt. Verschiedene Kleidungsstücke werden aus demselben Baumwollstoff hergestellt; ebenso sind die verschiedenen Formen des Universums schöpferisch aus dem einen Bewusstsein geformt, das immer rein bleibt.” Jnaneshwara
Und obwohl diese beiden sehr berühmten Nath Yogis vorwiegend Bhakti bzw. Jnana Yoga lehrten, ist der Einfluss der frühen Nath Tradition auf das moderne Yoga sehr groß. All die großen Hatha Yoga Texte stammen aus den Händen der Nath Yogis, so zB. Hatha Yoga Pradipika, Shiva Samhita, Goraksha Sathaka, Yoga Bija usw.