Die Brahmabindu Upanishad ist eine der eher kurzen Texte aus den vielen Upanishaden und sie vermittelt ohne große Umschweife einige wesentliche Konzepte. Upanishaden sind “Vedanta”, also das Ende der Veden, die Brahmabindu Upanishad gehört zur Gattung der “Yoga Upanishads” und ist Teil des Atharvaveda. Die Brahmabindu Upanishad gehört zu den 5 “Bindu-Upanishads”, also einer Gruppe von Upanishaden die jeweils mit Bindu bezeichnet werden: Tejobindu, Nadabindu, Amritabindu und Dhyanabindu sind die anderen. In manchen Quellen wird diese Upanishade auch als “Amrita-Bindu Upanishad” bezeichnet, das ist aber wohl eine Verwechslung.
Wörtlich bedeutet Brahmabindu Upanishad: “die Geheimlehre über den Brahman bedeutenden Punkt”, genauer gesagt geht es um den Punkt im Om-Zeichen, der für das Wortlose Brahman steht. So wie es in der Mandukya Upanishad erläutert wurde, steht das Om für die Trinität welche auf das ominöse “Vierte” hindeutet, welches jenseits aller Namen, Formen und EIgenschaften ist. Der Anusvara, also der Punkt im Om-Zeichen, deutet auf dieses Brahman jenseits aller Worte hin. Die Brahmabindu Upanishad behandelt das unberührte und eigenschaftslose Brahman und zeigt auf wie man zur Erkenntnis dessen gelangen kann.
Berühmt ist die Brahmabindu Upanishad durch die EInführung der “Topf-Ton Metapher” die später von Shankaracharya verwendet wird um die Eigenschaften des Atman zu erläutern.
Die Brahmabindu Upanischad
Hier in der unveränderten Übersetzzung von Paul Deussen, die z.T. etwas sperrig ist.
- Vers 1-10. Die Zurückziehung des Manas von den Sinnendingen und die Erlösung als ihre Folge.
1. Das Manas, sagt man, ist zweifach,
Entweder unrein oder rein,
Unrein, wenn Wünsche vorstellend,
Rein, wenn es frei von Wünschen ist.
Manas ist die niedere Psyche, gemäß dem Konzept der “4 Teile des Geistes”, diese inneren Instrumente “Antahkarana” werden im Yoga genutzt um die Funktionsweise der Psyche zu beschreiben, es ist tatsächlich ein sehr hilfreiches Konzept zum besseren verstehen der inneren Vorgänge.
Es gibt laut diesem Konzept:
- Manas – der Teil des Geistes der mit den SInneswahrnehmungenund den Handlungsorganen zu tun hat, sowie auch mit den automatischen Abläufen und einfachen Gedanken.
- Chitta – ist das unbewusste, also der Speicher der vergangenen Erfahrungen.
- Ahamkara – ist wörtlich der “ich-macher”, also der Teil des Geistes, der sich mit sich selbst identifiziert.
- Buddhi – die Unterscheidungskraft oder der Intellekt
Mehr zu diesem Konzept in meinem Artikel über das Antahkarana.
Der “Manas” genannte Teil des Geistes kann also durch die eigenen Wünsche verunreinigt sein oder geläutert und rein.
2. Das Manas also ist Ursache
Der Bindung und Erlösung uns:
Der Bindung, am Objekt hängend,
Der Erlösung, wenn frei davon.
Es liegt also das Problem und die Lösung in diesem niederen Teil des Geistes, wenn wir es schaffend ie Bindungen an unsere Wünsche (und Abneigungen!) zu lösen, können wir uns von den irdischen Zwängen befreien und die Wahrheit erkennen.
3. Weil denn durch das objektlose
Manas bedingt Erlösung ist,
Darum soll, wer nach ihr trachtet,
Sein Manas vom Objekt befrei’n.
Um die Befreiung zu erreichen ist es ganz entscheidend, dass wir die Buddhi stärken und den anderen drei Teilen des Geistes die Macht über uns entziehen. Da Manas den Ein- und Ausgang der Psyche verwaltet, also Sinneseindrücke und Handlungsimpulse kontrolliert, ist es ganz entscheidend für die Erlösung dem Manas die Kraft die es auf den gesamten Geist ausübt durch Meditation bzw. Rückzug weg zu nehmen. Chitta und Ahamkara werden durch eine starke Manas ebenso gekräftig, also das Ego bekommt Futter und das Unbewusste analysiert, und so liegt ein wichtiger Schlüssel in der Kontrolle des Manas. Wenn Manas ständig an Objekte gebunden ist, zieht es eben die ganze Ausmerksamkeit auf die duale Perspektive und steht der Erkenntnis der Einheit im Weg.
4. Wer frei von Sinnenwelthaftung
Sein Manas schließt im Herzen ab,
Und so zur Manaslosigkeit
Gelangt, der geht zum Höchsten ein.
In vielen Texten liest man von der Wichtigkeit den Fokus auf das Herz auszurichten, die Brahmabindu Upanishad nennt es als Methode den Geist von der Aussenwelt abzuziehen. “Manalosigkeit” würde im wörtlichen Sinne bedeuten, dass wir handlungsunfähig und nicht wahrnehmend wären, insofern geht es hier “nur” darum sich nicht mehr von den Objekten anziehen zu lassen, sondern ganz im reinen bewussten Sein zu verweilen.
5. So lange hemme dein Manas,
Bis im Herzen es wird zunicht,
Das ist Wissen, ist Erlösung,
Das andere ist gelehrter Kram.
Dieser Vers reduziert die komplexen spirituellen Lehren auf eine ganz einfache Sache: den Fokus auf die Wahrnehmung des Herzens legen. tatsächlich bin ich sehr froh über diesen vers, da ich schon lange denke, dass diese Methode ganz entscheidend ist. Als ich im Jahr 2011 in Rishikesh war und an Swami Sivanandas Mahasamadhischrein (Grab) meditiert habe, stellte ich ihm innerlich die Frage, was ich machen soll um mich spirituell weiter zu entwickeln. Innerlich kam mir die Antwort, ich solle mich auf mein Herz konzentrieren. Diese Antwort erfüllte mich mit großer Freude, und ich erkannte die Essenz aller Lehren in dieser Übung. Als ich einige Zeit später nach draussen ging, traf ich dort den Präsidenten der Divine Life Society Swami Vimalananda, der als großer Heiliger verehrt wird. ich verneigte mich hingebungsvoll vor ihm und bedankte mich dafür, dass ich im Ashram sein durfte. Er winkte mir nur beiläufig zu und sagte: “Just follow your heart!”
6. Nicht denkbar und nicht undenkbar,
Denkbar und undenkbar zugleich,
Frei von jeder Parteinahme
Ist Brahman, das er dann erreicht.
Das Absolute ist absolut Paradox, daher wird es in vielen Schriften mit solcherlei Versen beschrieben. Brahman ist nicht zu beschreiben und dennoch können wir viele (paradoxe) Worte verwenden um mit dem Finger darauf zu zeigen, jedoch ist ES entscheidend und nicht der Finger der auf ES zeigt.
7. Durch Om den Yoga anknüpfend,
Denke lautlos das Höchste man,
Denn durch lautloses Vorstellen
Wird Sein erreicht, kein bloßes Nichts.
Yoga (im weitesten Sinne) und der Fokus auf die Silbe Om im Herzen sind die Mittel mit denen wir die Sinne von der Welt abziehen, als Vorstufe zur höchsten Erkenntnis des Brahman. Das “lautlose Vorstellen des höchsten” ist eine interessante Meditationsanleitung, denn gedachte Worte begrenzen unseren geist, aber das Kontemplieren der Lehre hilft das reine Sein zu erfassen und damit zu verschmelzen. Das absolute ist kein leeres Nichts, sondern die reine Fülle, welches ein wichtiger philosophischer Unterschied ist.
8. Das ist Brahman, das teillose,
Wechsellose und ohne Trug;
“Ich bin dies Brahman!” so wissend
Erlangt man Brahman sicherlich.
Das Absolute ist eins und es kann nicht geteilt werden, es gibt keine Trennung im Absoluten, ist es voll erkannt worden gibt es keinerlei Zweifel mehr daran. Die Formulierung “Ich bin dieses Brahman!” ist wie ein Mantra welches uns zum Ziel des Yoga führt. Es ist wie ein weiteres Mahavakya von denen 4 definiert sind als Essenzen der Upanishads.
9. Das wechsellose, endlose,
Ursachlos-unvergleichliche
Ohne Grenzen und ohn’ Anfang
Erkennt man dann als höchstes Heil.
Brahman ist eben dieses Eigenschaftslose welches beschrieben wird, es wird mit der Berfreiung zu einer unumstößlichen Tatsache.
10. Da ist kein Sterben, kein Werden,
Kein Gebundner, kein Wirkender,
Kein Erlöst-sein noch -seinwollen,
Das ist die höchste Wesenheit!
Ist das Absolute erkannt, gibt es kein Streben mehr und kein Werden und Sterben, nur noch Sein.
- Vers 11-17. Der Atman und die Erscheinungswelt.
11. Den Atman wisse als einen,
Dann, Wachen, Traum und tiefen Schlaf,
Die drei Zustände abwerfend,
Wirst du nimmer geboren mehr.
Der Atman ist das “Vierte” jenseits der Trinität, also in diesem Fall das Selbst welches die drei Zustände erfährt und diesen zugrunde liegt. Wenn das wahre Selbst erkannt wird, ist das Ziel des Lebens erreicht und man ist befreit von allem Leid.
12. Eine ist die Geschöpfseele,
Sie weilt in jeglichem Geschöpf,
Einheitlich und doch vielheitlich
Erscheint sie wie der Mond im Teich;
Das was zuvor als Wesen gedacht wurde, wird nun erkannt als bloßes Spiegelbild des wahren Selbst.
Die folgenden beiden Verse führen die berühmte Metapher vom Krug und dem Raum ein, bzw. vom Topf und dem Ton, welches von Adi Shankaracharya im Aparoksha Anubhuti und im Atma Bodha verwendet wird.
13. Wie der Raum, den der Krug einschließt,
Denn wenn der Krug zerbrochen wird,
Bricht nur der Krug, der Raum bricht nicht,
Das Leben ist dem Kruge gleich.
Das wahre Selbst ist von den Erfahrungen die gemacht werden unberührt, es verändert sich nicht wenn der verkörperte durch eine Entwicklung geht. Genau so wie der Raum sich nicht wandelt wenn der Krug darin zerbricht. Shankara spricht bei seiner Metapher dann auch von “Topf und Ton” statt nur “Krug und Raum”, aber es geht in die selbe Richtung.
14. Alle Formen dem Krug gleich sind:
Unaufhörlich zerbrechen sie;
Wenn dahin, sind sie nichtwissend,
Doch er ist wissend ewiglich.
Alles veränderliche ist immer nur eine vorübergehende Erfahrung innerhalb des unveränderlichen und ewigen Bewusstseins. Das Selbst weiß oder erkennt, während das verkörperte in der Illusion verweilt.
15. Wer sich einhüllt in Wortblendwerk,
Im Herzlotos gefangen bleibt,
Doch wenn die Finsternis licht wird,
Schaut er die Einheit nur allein.
Es gibt eine Gefahr sich immer tiefer in Konzepten zu verheddern und stehen zu bleiben auf dem Weg zur letzten Erkenntnis, diese Gefahr droht mir sicherlich auch. Worte und philosophische Abhandlungen können uns immer weiter einpuppen in einen wohligen Kokon, fraglich nur ob wir uns wie ein Schmetterling daraus befreien können.
16. Des Om-Lauts Silbe ist Brahman;
Wenn sie verhallt, was dann besteht,
Dem Ew’gen denken nach Weise,
Der Seele Frieden Suchende.
Das Om besteht aus drei Teilen, A, U und M, entscheidend ist das vierte, welches die Anschliessende Stille ist, nur in dieser Stille wird das wahre Selbst erkannt, bzw. es ist diese Stille welche allem zugrunde liegt.
17. Zwei Wissenschaften sind nötig,
Das Wortbrahman und das zuhöchst;
Wer bewandert im Wortbrahman,
Erreicht das höchste Brahman auch.
Auch wenn uns Worte einlullen und weiter im Kokon verpuppen werden sie uns dennoch in die Freiheit führen.
- Vers 18-22. Bücherwissen und Selbsterkenntnis.
18. Der Weise, Bücher durchforschend
Nach Wissenseinsicht, die real,
Wie die Spreu, wer nach Korn trachtet,
Wirft weg den ganzen Bücherkram.
Am Ende des Weges müssen alle Hilfmittel losgelassen werden. Alle Bücher sind nur wie eine Brücke die am anderen Ufer nutzlos wird.
19. Die Kühe zwar sind vielfarbig,
Doch nur einfarbig ist die Milch;
Der Milch gleich ist das Selbst-Wissen,
Den Kühen gleich, was merkmalhaft.
Es geht darum die EInheit in der Vielfalt zu erkennen, das eine Absolute liegt dem vielen Relativen zugrunde, die Vielheit ist relativ, die Einheit ist absolut, beides gehört zur Vollkommenheit.
20. Wie Butter in der Milch verborgen,
So weilt in allem, was da lebt, Wahrwissen;
Immerfort mit dem Geist als Quirlstab
Soll jeder in sich es ausquirlen.
Die Wahrheit ist wie die Nasenspitze immer in unserem Blickfeld, entscheidend ist, dass wir sie in allem erkennen und wahrlich sehen, dass es nicht gibt welches nicht in Wahrheit ist.
21. Des Wissens Drehseil anwendend,
Erziel’ als Reibungsfeuer man
Das teillos, fleckenlos Stille;
“Ich bin dies Brahman”, wie es heißt.
Das Wissen wird als Werkzeug angewendet um sich von den falschen Konzepten zu lösen und die Wahrheit zu erkennen, dazu ist es wichtig, das richtige Wissen zu verwenden. Das korrekte Wissen findet man in den heiligen Schriften und als Aussagen der großen Meister, ohne Wissen- keine Erkenntnis. Wenn wir korrekt intellektuell verstehen was Brahman ist, können wir uns sukzessive bewusst machen, dass wir selbst das Absolute sind. Dazu hilft die Formel “ich bin dieses Brahman”.
22. Das allen Wesen Wohnstätte,
Dem Wohnstätte die Wesen sind,
Das alle liebevoll einschließt,
Das bin ich, der Vasudeva,
– das bin ich, der Vasudeva.
Bei diesem Vers wird von Indologen vermutet, dass er später hinzugefügt wurde. Die gesamten 21 Verse zuvor sprechen allesamt nicht von einem bestimmten Aspekt des Göttlichen. Erst hier am Ende der Brahmabindu Upanishad wird Vasudeva als Gott eingeführt, was darauf hindeutet, dass es sich um die Vereinnahmung des Textes durch Vaishnavas handelt. Paul Deussen sagt dazu:
“Von sektiererischen Neigungen findet sich keine Spur, bis auf das Vasudevah am Schluß, das sich jedoch schon durch seine metrische Unmöglichkeit als das Einschiebsel irgendeines Verehrers des Vishnu-Krishna zu erkennen gibt und den ursprünglichen Schluß verdrängt hat.”
Das ist durchaus nicht ungewöhnliches, aber an dieser Stelle eben recht auffällig. Abgesehen davon ist dieser Vers sehr schön. 🙂