Vishnu bzw. Narayana ist neben Shiva im Hinduismus einer der beiden wichtigsten Aspekte des einen und höchsten Prinzips welches man Gott nennen kann, wobei der Begriff “Götter” keine konkurierenden Wesenheiten implizieren soll, sondern viele Erscheinungsformen des Einen.
Vishnu, Narayana, Hari – Gott viele Namen & Formen!
Man sagt zum Beginn der Schöpfung ruhte Vishnu , der auch Narayana genannt wird im Weltenmeer auf der Schlange Adishesha bzw. Ananta, ihm zu Füssen seine Gemahlin Sri Laxmi. Er träumte zunächst die Schöpfung und aus seinem Nabel erwuchs eine Lotusblume und darin erschien der Schöpfergott Brahma, der dann die manifeste Welt erschuf. Nach einer Weile (100 Brahmajahre…) zog sich der Lotus wieder zurück und Er träumte weiter um wieder eine neue Welt zu erschaffen…
“Der glorreiche Vishnu ist die einzige Zuflucht für die Sterblichen. Er wohnt im Herzen aller Wesen. Seine Gnade ist unbesiegbar. Er ist das Elixier der Veden. Er ist Alles-in-allem. Er ist die höchste Gottheit. Er ist die höchste Wahrheit. Er ist unendliche Wonne. Er ist allseits barmherzig. Er ist allseits freigebig. Er ist der Beschützer. Er ist der Bewahrer. Er ist der Retter.” Swami Sivananda
In der Indischen Mythologie bzw. im Hinduismus und im Yoga gibt es viele Arten das numinose, absolute und abstrakte Göttliche zu beschreiben und Gott mit konkreten Namen, Formen und Eigenschaften zugänglicher zu machen, Vishnu/ Narayana ist einer der wichtigsten.
- Vishnu heißt wörtlich “Der Alles-durchdringende” und deutet auf das unfassbare und unbeschreibliche Göttliche hin, welches eben jenseits aller Vorstellungen und Konzepte ist.
- Narayana bedeutet “der Sohn des Menschen”, eine andere Bedeutung ist “der im Äther weilt”
Ein weiterer wichtiger Name der selben Gottheit ist Hari welches schlicht “Gott” bedeutet, “Hara” hingegen wird mit Shiva assoziiert.
Vishnu ist überall
Er wird bereits in den vedischen Schriften erwähnt, die schulwissenschaftlich gesehen über 4,5 Tausend Jahre alt sind, nach Hinduistischer Vorstellung jedoch noch wesentlich älter. Verschiedene der uralten Texte der Inder sprechen ihm auch unterschiedliche Rollen und Bedeutungen zu. Ein berühmter Ausspruch stammt aus einem Kommentar zu den Veden:
viṣṇur viṣvater vā vyaśnoter vā – “jener der überall ist”
Ebenso wie Rudra später zu Shiva wurde, und damit vo schecklichen Aspekt Gottes zum gütigen wurde, hatte auch Vishnu im Laufe der Zeit eine große Entwicklung in der Wichtigkeit innerhalb des Hinduismus durchgemacht. Waren es im alten Indien vor über 3000 Jahren noch die konkreten Urkräfte der Natur wie Beispielsweise Feuer (Agni), Luft (Vayu), Wasser (Varuna) und Sonne (Surya) oder auch die Ganga, die als höchstes Göttliches Prinzip verehrt wurden, so bekamen Vishnu und Shiva als abstrakte Formen im Laufe der Zeit mehr und mehr Bedeutung. Obwohl es auch bereits im Aitareya Brahmana heißt:
“Agni ist der jüngste und niedrigste Gott, Vishnu ist der älteste und höchste Gott
Auch in den Brahmanas wird formuliert, dass Er auch alle Opfer und jede Hingabe an Halbgötter akzeptiert, woraus meines erachtens nach auch eine überhebliche Einstellung mancher Vaishnavas resultiert die sich für die besten und einzig wahren halten.
Teil der Trinität “Trimurti”
Er stellt eines der Drei Hauptprinzipien im Universum dar. Alles was es gibt, entsteht, existiert und vergeht wieder. Und so steht Brahma für die Schöpfung, Vishnuji für das Erhalten und Shiva für das vergehen oder Transszendieren. Er ist also sozusagen für den Fortbestand der Schöpfung zuständig. Er hat auch eine Shakti, eine feminine dynamische Kraft die als seine weibliche Begleiterin in Form der Laxmi erscheint. Laxmi oder Mahalaxmi ist die Göttin der Schönheit, der Fülle, des Reichtums und des Wohlstandes und sie ist der Legende nach dem Quirlen des Ozeans aus Milch entsprungen.
In den heiligen Texten
Vishnuji taucht in vielen der alten Texte des Hinduismus auf, so wird bereits im Rig Veda 93 mal erwähnt und trinkt in vielen Passagen mit Indra dem Gottkönig das Rauschgetränk der Götter: Soma.
“Diese seine Größe stärkte Vishnu mit Kraft, der den Somastengel fließen lies. Er ist voll des süßen Tranks. Nachdem Indra mit seinen Gefährten, den Göttern, den Vritra, erschlagen hatte, ward er der Auserwählte.” RV 10.113.2
Viele Verse lopreisen ihn:
“Keiner, der noch geboren wird, kein Geborener hat je das fernste Ende deiner Größe erreicht, Gott Vishnu. Du hast den ragenden hohen Himmel emporgestemmt und die östliche Spitze der Erde festgestellt.” RV 7.99.2.
Und vor allem:
“Wer gegen den allerersten und neuesten Meister Vishnu, dem die Frauen gut sind, freigebig ist, wer seine, des Hohen, hohen Ursprung verkündet, der soll an Ruhm selbst den Ebenbürtigen übertreffen.” RV 1.156.2.
Im folgenden Zitat aus dem Rig Veda wird die bekannte Szene beschrieben wie Er mit drei Schritten die manifeste Welt durchschreitet, der erste Schritt wurde der Legende zufolge in Badrinath im Himalaya gegangen.
“Dreimal hat dieser Gott diese Erde, die hundert Sänger hat, in ganzer Größe ausgeschritten. Vishnu soll den Vorrang haben, der stärker als stark ist, denn furchtgebietend ist sein, des Standfesten, Name.” RV 7.100.3.
Und auch:
“Vishnu hat dieses All ausgeschritten, dreimal hat er seine Spur hinterlassen. In seiner staubigen Fußspur ist es zusammengehäuft.” RV 1.22.17.
Narayana in den alten Texten
Im Yajurveda Taittiriya Aranyaka 10-13-1 wird Er als Narayana erwähnt und besungen, das berühmte Narayana Suktam preist Narayana als höchstes Göttliches Prinzip:
“Narayana ist das Höchste Absolute, die Höchste Wirklichkeit, ist das Höchste Licht. Narayana ist das Höchste Selbst, der Höchste Meditierende, die Höchste Meditation.” Vers 4
Als Narayana versteht man eher den unpersönlchen, abstrakten und absoluten Aspekt des Prinzips Vishnu. Jeder einzelne der großen und wichtigen Götter des Hinduismus hat mindestens 108 Namen, manche sogar 1008.
Die großen Götter haben viele Namen
Es gibt die wichtigen Verse “Vishnu Sahasranama” – die “1000 Namen” wobei Narayana der erste und wichtigste ist.
“Das Eine wird Prana genannt, Die Höchste Kraft, die alles kontrolliert und reguliert. Es gibt jeder Kreatur die Kraft zu atmen. Der Meister aller Lebewesen, Der Bewahrer allen Erschaffenen, Er kann durch Stille, Meditation und durch die Praxis des Yoga erkannt werden.” Vishnu Sahasranama
Weitere Namen oder Eigenschaften von Vishnu sind z.B.:
- Vishvam- dessen Körper die Welt ist
- Jayant- der am Ende siegen wird
- Avyaya- der unveränderliche
- Ananta- der endlose
- Bhagavan- der Erhabene
- Jagannatha- Herr der Welt
- Padmanabha- mit dem Lotus im Nabel
- Purushottma- höchstes ewiges Wesen
- Hayagriva- geber des Wissens
- Sriman- der Stolz Laxmis
- Vishvarupa- der all-gestaltige
Shankara über Vishnu
Adi Shankaracharya sagt in seinem Kommentar zum Vishnu Sahasranama:
“Da er alles durchdringt, wird er Vishnu genannt.”
Und im Kommentar zum Vishnu Purana sagt Shankara:
“Die Macht des höchsten Wesens hat das Universum betreten, die Wurzel Viś bedeutet “hereinkommen” 3.1.45
Symbole von Vishnu
- Sudarshan Chakra Wurfscheibe/ Diskus – seine stärkste Waffe
- Shankha, Schneckenhorn – erzeugt einen Göttlichen Klang
- Gada, Keule – um Asuras zu bekämpfen
- Garuda, Adlermensch – Das Reittier von Vishnu
- Ananta, Adishesha Weltenschlange – auf ihr sitzt Vishnu zum Beginn der Schöpfung
die 10 wichtigen Avatare Vishnus – Dashavatara
Er inkarniert immer mal wieder als Avatar auf der Erde um die Schöpfung zu erhalten. Dann wenn die dunkle Seite zu stark wird und der Fortbestand der Welt in Gefahr ist, kommt er in verschiedenen gestalten, um zu helfen. So gibt es unzählige Geschichten von seinen verschiedenen Verkörperungen die eine große Rolle in der Indischen Geisteswelt spielen.
„Um die Guten zu schützen, die Bösen zu vernichten und Rechtschaffenheit zu errichten, werde Ich in jedem Zeitalter geboren.“ Bhagavad Gita, Vers 4.8
1. Matsya In dieser Form als Fisch Avatar hat Er den Heiligen Vaivaswata vor dem Ertrinken rettet, Vaivaswata hat die Menschen genau wie Noah vor der Sintflut gerettet.
2. Kurma Als Schildkröte hat Er die Welt gerettet indem er die Götter und Dämonen beim Quirlen des Milchozeans unterstüzte. Die Riesenschildkröte dabei ist unter den Berg Meru gekrochen um ein Absinken zu verhindern.
3. Varaha Als Eber inkarniert hat er die Welt vor dem Untergang im großen Ozean gerettet und den Dämonen Hiranyaksha getötet.
4. Narasingha In Gestalt als halb Löwe und halb Mensch hat Er bei einem Dämonenkrieg die Welt vor dem bösen Hiranyakashipu gerettet, dieser hatte zuvor einen Deal mit Brahma gemacht.
Er hatte das Versprechen nicht getötet werden zu können:
- weder bei Tag noch bei Nacht
- nicht durch Mensch oder Tier
- nicht durch ein von Brahma geschaffenes Wesen
- weder am Boden noch in der Luft
- nicht innerhalb oder ausserhalb eines Hauses
- weder durch einen Asura (Dämon) noch durch einen Devata (Gott)
Durch Askese bekam Hiranyakashipu solch eine Macht, das die Götter Vishnu um hilfe baten. Der Sohn von Hiranyakashipu namens Prahlada hatte aus seinem innersten heraus eine tiefe Hingabe zu Narayana, was den Dämonenherrscher sehr störte. Er wollte ihn töten lassen, was jedoch nicht möglich war, weil er durch Narayana auch besondere Kräfte bekommen hat. Als es zum Eklat kam und der Dämonenfürst seinen abtrünnigen Sohn selbst töten wollte erschien Narasingha und trickste ihn aus. Alle von Brahma versprochenen Regeln wurden beim töten eingehalten…
5. Vamana Der Avatar als Zwerg rettete die Welt abermals vor einem bösen Dämon. Der Asura Bali hatte durch Frömmigkeit und Askese die Macht über die 3 Welten erlangt und drohte nun sogar den Status der Götter zu gefährden. Diese baten wiederum Vishnu um Hilfe, dieser verkörperte sich als Zwerg und lies sich eine List einfallen. Er trat zu Bali während seiner asketischen Übungen und bat um etwas Platz für seine Feueropfer, drei Schritte Land würden ihm genügen. Bali gewährte ihm dieses Land und Vamana zeigte seine wahre Gestalt als kosmische Form. Mit 2 Schritten durchritt er Himmel und Erde und überließ vor Gnade Bali die Unterwelt zu der er ihn verbannte.
6. Parasurama Dieses ist keine direkte Inkarnation, sondern Lord Vishnu ist in den Brahmanen eingefahren um durch ihn gegen die Kshatriyas zu kämpfen. Parasurama taucht in vielen Geschichten auf, die zeitlich sehr weit auseinander liegen, so z.B. im Mahabharata und Ramayana Epos, in denen jeweils die beiden nächsten Avatare eine wichtige Rolle spielen. Er hat auch den König Kartavirya getötet, der die Wunscherfüllende Kuh Kamadhenu geklaut hatte…
7. Rama Dies ist dann eine seiner wichtigsten Inkarnationen und spielt im heutigen Indien ein große Rolle. Er gilt als der ideale Mensch: Rechtschaffen, intelligent und schön. Vishnu ist hier erstmals mit Laxmi in Form der schönen Sita gemeinsam inkarniert. Sita wird vom Dämonen Ravana entführt, Rama befreit sie und tötet den mächtigen Dämonen. Diese Geschichte wird im Ramayana Epos erzählt.
8. Krishna Er gilt als höchster und reinster Avatar und ist auch wieder mit Laxmi als Radha gemeinsam inkarniert. Krishna leitet das dunkle Zeitalter durch sein kommen ein, was bedeutet das in diesem “kali-Yuga” die Menschen sich ihrer Göttlichen Natur nicht automatisch bewusst sind. Er verankert mit seinem Leben die Lehren welche zur Erkenntnis des höchsten führen. Seine Geschichten sind in vielen klassischen Texten aufgeschrieben, so vor allem in der Mahabharata. Krishnas Name erinnert neben seiner Lebensgeschichte an Jesus Christus, hier einige Parallelen:
- Geburt in Verbannung
- König wollte alle Neugeborenen töten
- Elternpaare wurden von himmlischen Boten gewarnt
- Lehrten vor allem einfachen Menschen
- beide sind Inbegriff von Liebe, Frieden und Mitgefühl
- beide starben gewaltsam und doch freiwillig
Ähnliche Parallelen findet man übrigens auch bei Buddha, Spekulationen dazu möchte ich hier nicht hinzufügen.
9. Buddha Die Buddhisten sehen es etwas anders, aber aus Vaishnava- (Verehrer von Vishnu in verschiedensten Formen) Sicht wird gesagt Buddha kann nur eine Inkarnation von Vishnu sein. Im Buddhismus wir auch eine Abfolge von Buddhas der Vergangenheit gelehrt, es gibt jedoch keinerlei Parallelen zu den Avataren Vishnus, es wird auch gesagt Jesus Christus sei eine Inkarnation Vishnus, beides halte ich für einen kläglichen Versuch andere Lehren dem Vishnu-Kult unterzuordnen.
„Am Anfang des Zeitalters der Kali Yuga, wird die mächtige Persönlichkeit Gottes in der Provinz von Gaya als Buddha erscheinen, der Sohn von Anjana, um die zu verwirren, die immer neidisch sind auf die Anhänger Gottes“ Shrimad Bhagavatam 1.3.24
10. Kalki Auf einem weißen Pferd soll er am Ende dieses Zeitalters als Kalki “der Zerstörer der Dunkelheit” auf die Welt kommen. Er soll laut Überlieferung kommen um die korrupten Herrscher zu töten und das wahre Dharma wieder zu verankern. kalki bedeutetauch “Eisen”, deshalb wird angenommen, dass der kommende “Kalki-Avatar” eine Art Maschinenmensch wird. Im Buddhismus gibt es eine Entsprechung dazu mit dem kommenden Buddha Maitreya. Ich hoffe es ist bald soweit!
Wir können in den Inkarnationen eine klare evolutionäre Entwicklung beobachten, vom Fisch im Wasser über die Schildkröte als Amphibie zum Eber als Landtier und dann zum Halblöwen und schließlich zum Zwerg, die nachfolgendnen Avatare sind allesamt menschlich und können ebenso als eine Entwicklung im Bewusstsein betrachtet werden.
Als weitere Inkarnationen von Vishnu sind noch zu nennen:
- Dattatreya: eine Verkörperung von Brahma, Vishnu und Shiva in einem Körper.
- Hari-Hara oder ShankaraNarayana: Shiva und Vishnu in einem, nicht verkörpert als Mensch.
- Chaitanya: Mystiker aus dem 16. Jhd. gilt als eine Inkarnation von Radha und Krishna.
Seit Urzeiten streiten sich verschiedene spirituelle Strömungen Indiens darüber wer nun Recht hat und wessen Gott der höchste sei. Aus meiner vedantisch geprägten Sichtweise gibt es nur einen Gott oder ein Göttliches Prinzip, und das ist für alle gleich. Man kann es unterschiedlich betrachten und ihm verschiedene Namen geben.
So wie es im Islam heißt “La Illaha il Allah”- Es gibt keinen Gott ausser Gott!